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Der Bussard stürzt

Xavier Naidoo vor 9.000 Gläubigen in der Bremer Stadthalle / Heike versteht kein Wort und überlegt schon, auf Singvögel umzusteigen

„Zu viel Luft auf der Stimme. Ich merk das, zu viel Luft ist nicht gut.“

Heike ist 26 und arbeitet für eine große Bremer Versicherungsanstalt. Heike findet, Xavier sehe wie ein Bussard aus. Bussarde sind Raubvögel und leben in der Luft. Zuweilen stürzen sie ab. Um sich eine Maus zu schnappen. Xavier stürzt auch ab, findet Heike. Nicht wegen einer Maus. Zu hoch geflogen sei er. Sein Gefieder sei löchrig geworden, sagt Heike. Seine Stimme sei nicht mehr so klar, so geschlossen, wie im „Modernes“ damals. Hat er sich die Federn verbrannt? Ist er von Gott verstoßen worden? Heike weiß es nicht.

Heike, wir helfen dir. Die Stadthalle ist daran schuld. Ohne Zweifel. Die Akustik ist nicht besonders, dafür ist die Stadthalle bekannt und für Naidoo ist es die erste Tour in solch großen Häusern. 10.000 gehen rein in die Stadthalle, 9.000 waren da. Xavier Naidoo (30) ist auf seiner bisher größten Konzerttour. In Bielefeld, seiner ersten Tourstation (am 1.9.) war auch schon so viel los. „Bei 10.000 ist es schwer, in die letzte Reihe zu sehen“, sagte er in einem Interview, kurz vor der Tournee. Mit der Stimme ist es ähnlich schwer. Und schwer hat er es in Bremen (am 2.9). „Der klingt breiig“, schimpft Heike.

„Nicht von dieser Welt“, Naidoos Debutalbum hat sich mehr als eine Million mal verkauft. Jetzt bewirbt er bis zum sechsten Oktober sein neues Doppelalbum „Alles für den Herrn“ und „Zwischenspiel“. Zweieinhalb Stunden Musik irgendwo zwischen Soul und Pop, zwischen Rock und Rap.

Zwei Stunden Live-Konzert. Und alles für den Herrn? Im selbigen Interview vor dem Konzert antwortet Xavier: „Die bisherige Arbeit hat mir gezeigt, dass man auch in Deutschland über so etwas wie Glauben Texte machen kann.“ Genau das hat Heike von Xavier erwartet: klare Worte mit coolem Swing im Arm. Groove hat er ja, sagt Heike von der Versicherung, nur verstehe man kein Wort. „Zu viel Luft auf der Stimme, ich merk das, zu viel Luft ist nicht gut.“

Xavier Naidoo steht mit seinem Doppelalbum auf Platz eins der deutschen Charts. Seit Wochen leiert der Hit „Bevor du gehst“ durch alle Mainstream-Radios und Musik-TV-Sender. So überraschte das Massenjauchzen zu Beginn des Konzertes nicht wirklich. Später dann, als Heike nicht mehr Brei sondern Haferschleim dachte, legte Naidoo seine neueste Coverversion vor: das Duett von Peter Gabriel und Kate Bush „Don‘t give up“.

Naidoo covert gerne, ob Herbert Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ oder Udo Jürgens „Ich glaube“–das konnte man noch durchgehen lassen, meint Heike. „Wenigstens hört man da, dass Xavier damit was Originelles geschaffen hat. Aber jetzt das. Nix eigenes.“ Heike ist entsetzt. Steigt sie jetzt auf Singvögel um? Das nicht gleich, antwortet Heike leise. „Er ist doch so süß mit dem Häkchen in der Nase.“ Würde er wieder im „Modernes“ spielen, Heike wäre ganz sicher dabei.

Hannes Krug

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