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Das RAF-Gespenst

Die RAF ist verschwunden – und in Pop-Inszenierungen und Kinobildern wiedergekehrt. Dann kam der 11. September

In den Pop-RAF-Bildern zählt der ästhetische Effekt, nicht der Fakt

von STEFAN REINECKE

Die RAF hat sich 1998 aufgelöst. Drei Jahre später wurde sie zum Popzeichen, zum Logo. Seit 2001 kann, wer auf das Label RAF steht, T-Shirts mit dem fünfzackigen Terroremblem oder dem Aufdruck „Prada Meinhof“ kaufen – und damit sein Ich-Image mit ein paar Botschaften versehen. „Rebellion“ zum Beispiel, „Provokation“ und vor allem „Authentizität“. Es gab ja echte Tote.

Der RAF-Image-Konsument kann in Astrid Prolls „Hans und Grete“ blättern, einem hip layouteten Buch mit Schwarzweißfotos von Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1967 in Pariser Cafés. Baader sieht auf diesen Bildern aus wie ein Filmstar.

Oder unser RAF-Konsument greift zu der Illustrierten Max, die unter dem Slogan „Die Zeit ist reif für RAF-Popstars“ eine (aus der inzwischen Pleite gegangenen Illustrierten Tussi Deluxe übernommene) Fotostrecke zeigte: mit Models in RAF-Posen.

Dass Baader, Meinhof und Ensslin zu Popfiguren werden konnten, ist ein Nebeneffekt der Historisierung der RAF. Weil der bundesdeutsche Terrorismus im kollektiven Bewusstsein aufhörte, etwas zu sein, was wehtut, kehrt die RAF als Logo wieder – als vage Chiffre für heroische Gesten, Tod und Bedeutung.

Den Roman zum Prada-Meinhof-Shirt hat Leander Scholz mit „Rosenfest“ geschrieben. Dort tauchen Baader und Ensslin als verzweifeltes Liebespaar auf, als Bonnie-and-Clyde-Wiedergänger, die Gewalt, Sex und Terror zusammenschweißen. Die RAF erscheint bei Scholz als scharfer Kontrast zu unserer Gegenwart, in der Politik zu alternativloser Verwaltung geworden zu sein scheint und medial so ziemlich jedes Tabu gebrochen ist. Ensslin & Baader sind in „Rosenfest“ ein Gegenbild zur geregelten Langeweile unseres bundesdeutschen Alltags. Ein Kitschmärchen von unbedingter Liebe, die in den Tod führt.

Die Radical-Chic-RAF-Mode ist eine doppelte Bewegung: Etwas wird erinnert, anderes ausgelöscht. Die konkrete Geschichte wird ausgeblendet und, wie in „Rosenfest“, wortwörtlich umgeschrieben. Was die RAF war, was sie wollte, was sie tat, rückt in den Hintergrund. Die Geste zählt, nicht der Inhalt; der ästhetische Effekt, nicht der historische Fakt. Die Zeichen werden dekontextualisiert – und damit brauchbar als Projektionsfläche heutiger Wünsche und Frustrationen. Neu ist das keineswegs. Nichts anderes haben vor dreißig Jahren die Rolling Stones getan, als sie in Naziuniformen posierten. Im Übrigen hat gerade die 68er-Linke die Dekontextualisierung und Ikonisierung von Politik kräftig befördert – man denke nur an das berühmte Che-Poster.

Es gibt auch Versuche, die RAF gewissermaßen als Poplogo mit Inhalt zu retten. So heißt es in Jan Delays 2001 veröffentlichem Song „Die Söhne Stammheims“: „Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin, folgen Jürgen und Zlatko und nicht mehr Baader und Ensslin.“ Lassen wir mal beiseite, dass die Idee, in Baader eine Art Führer zu sehen, ziemlich furchterregend ist – auch in diesem Versuch, die RAF als politisches Zeichen zu retten, erscheint sie als Konkurrenzsendung von „Big Brother“. No way out. Pop ist überall.

Die Verwandlung von RAF-Geschichte in Stil ist, mit vielen guten Gründen, kritisiert worden. Niels Werber hat in einem klugen Aufsatz über „Krieg und Terror in der Popkultur“ geschrieben: „Ist die historische Dimension des Terrors einmal völlig weggewischt, bleibt von ihm nichts weiter übrig als eine mediale Oberfläche, mit der die Popkultur spielen kann. Zwischen Supermodels und Terroristen besteht kein Unterschied mehr. In beiden Fällen hat man es mit Stars zu tun, deren Aufgabe es ist, schön und cool zu sein.“ Was zählt, ist gestylte Faszination, eine Mixtur aus Glamour, kaltem Retroschick und einer Prise faschistoider Todessehnsucht.

Kritik hat angesichts der Ästhetisierung des Politischen allerdings eine begrenzte Reichweite: Sie argumentiert vom Standpunkt der Aufklärung – im Reich der Popzeichen geht es aber weniger um richtig und falsch als um in und out. In Systemen, in denen Distinktionsgewinn zählt, hilft es nicht viel, auf dem Recht der Historie zu pochen. Mehr noch: Die Spekulation mit moralischer Empörung ist (wie kürzlich der Poppolitiker Jürgen W. Möllemann mit seinen Antisemitismen zeigte) notwendiger Teil des Spiels. Kein Terrorpop ohne Aufmerksamkeit. Das RAF-T-Shirt, das nicht auffällt, ist nur ein zu teures Stück Stoff.

Eine Art praktische Kritik des RAF-Pop-Komplexes war 2001 im Kino zu sehen: Andres Veiels „Black Box BRD“ und Christian Petzolds „Die innere Sicherheit“. Die Regisseure, beide um die vierzig, entwickeln souveräne, neue Bilder: fern von Popmythisierung und jenseits linksnostalgischer Verklärung. „Die innere Sicherheit“ erzählt eine einfache Geschichte: Ein Terroristenpaar ist mit seiner 15-jährigen Tochter auf ewiger Flucht. Sie sind Übriggebliebene eines vergangenen Krieges, dessen Parolen und Ziele schon lange ausgeblichen sind. Die RAF wird nie erwähnt, die Parolen der Gewaltrechtfertigung sind unwichtig geworden. Das Paar sehnt sich nach dem Unerreichbaren: einem normalen, bürgerlichen Dasein.

„Die innere Sicherheit“ zeigt Erfahrungen und Alltag, keine heroischen Gesten oder Illustrierungen moralischer Urteile. So kippen die üblichen Bilder von Normalität und Terror. Das Paar symbolisiert keinen dämonischen oder faszinierenden Ausnahmenzustand, keine Entgrenzung. Die beiden sind weder das böse Andere, das wir uns vom Leib halten müssen, noch, wie in „Rosenfest“, ein Retrotraum von Freiheit, Sex und Tod. Petzold ignoriert eingeschliffene RAF-Images. So gelingt ein präzises Bild: der Terror als Gespenst aus der Vergangenheit, als Untotes.

Das dokumentarische Pendant zu Petzold findet sich in „Black Box BRD“. Auch das RAF-Paar Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld, erzählt ein Freund der beiden, sehnte sich nach Unerfüllbarem: nach Kindern, dem Ausstieg, einer bürgerlichen Existenz. Auch „Black Box BRD“, ein Doppelporträt von Grams und dem Bankier Alfred Herrhausen, der 1989 von der RAF erschossen wurde, sucht nach Erfahrungen hinter den Bildern. Veiel rückt diese denkbar fernen Biografien in einer Parallelmontage assoziativ zueinander: Beide gehören einer Art Eliteorganisation an, beide glauben an eine Botschaft, die sie unerbittlich verfolgen. So löst „Black Box“ die Gut-böse-Zuschreibungen auf und fokussiert den Blick auf die Ähnlichkeiten der Todfeinde. Eine Biografie zu verstehen hört bei Veiel auf, ein Kampfargument in dem alten Grabenkrieg „RAF gegen Staat“ zu sein.

Und jetzt? Seit dem 11. September ist vieles anders. Terrorismus produziert Tote. Diese in den Popzeichen kokett vergessene, überschriebene Wahrheit kehrte mit dem WTC-Attentat schockartig ins kollektive Bewusstsein zurück und zerstörte die bunte Inszenierung des Glamour-Terrors. Das RAF-Emblem ist als Sinnaccessoire aus dem postmodernen Zeicheninventar erst mal gestrichen. Die Bilder des 11. September sind die, vorerst letzte, Überschreibung unserer Popfantasien über die RAF.

Ist also Schluss mit den medialen RAF-Gespenstern? Ist jeder Mythos zum Zeichen geworden, die Geschichte auf dem T-Shirt de-, im Kino rekontextualisert worden? Vielleicht. Aber Schlussstrichprognosen sind ziemlich riskant. Kollektive Erinnerung und auch Popzeichenproduktion verlaufen allerdings in eigenwilligen, unvorhersehbaren, abrupten Schüben. 1997, zum 20-jährigen Dienstjubiläum, glaubten viele, dass Breloers TV-Faction „Todesspiel“ das gültige, fugendichte Gesamtbild des Deutschen Herbstes wäre: ein Schlusswort. Denn nun sei alles, wirklich alles gesagt, inszeniert, gezeigt, reflektiert. Es kam anders.

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