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Ende des Dornröschenschlafs

Fünf Jahre hat Wolfgang Höcherl Zeit, das Café Moskau wiederzubeleben, samt Nachtbar, Salons und sozialistischem Ambiente. Damit sich das rechnet, braucht er auch Events wie die Erotikmesse

Interview UWE RADA

taz: Was fasziniert Sie am Café Moskau?

Wolfgang Höcherl: Allein die Geschichte des Gebäudes. Die Architektur von Josef Kaiser, das ganze Viertel drumherum, also der zweite Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, der Kontrast zur damaligen Stalinallee. Das ist eine einzigartige Sache. Was zum Beispiel nie so richtig zur Geltung kommt, ist die Schillingstraße. Wie schön die ist.

Ein Boulevard …

… und das Schlimme ist, die Pavillons stehen nicht mal unter Denkmalschutz. Sie sind sehr schwer zu erhalten. Aber ich hoffe, dass das in Zukunft besser wird. Das ganze Gebiet ändert sich ja, viele junge Leute ziehen hierher.

Ist Wiederbelebung der beste Schutz, so wie im Café Moskau?

Ein Pavillon hat in der Zwischenzeit mal gebrannt. Es sieht so aus, als ob der abgerissen wird. Das finde ich richtig scheiße.

Welche Rolle hatte das Moskau in diesem Ensemble zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz?

Es war das Flaggschiff. Ich habe im Stadtarchiv alte Magistratsbeschlüsse gesehen, da stand drin: Das Moskau muss das schönste, bestgeführte und außergewöhnlichste Restaurant in ganz Deutschland werden. Das war 1958, also noch bevor die Mauer gebaut wurde. Das Moskau selbst ist dann ja ein Jahr nach dem Mauerbau gebaut worden.

Wir sind nun im Erdgeschoss, rechts von uns die Garderobe, links ein riesiger Raum.

Das war das eigentliche Restaurant. 1962 sah das Haus von innen ganz anders aus. Viel sachlicher, moderner. Leider Gottes ist es 1982 von innen komplett enkernt und umgebaut worden. Alles ist rausgeflogen …

und alles plüschig geworden.

Man sieht das ja noch hier an den Wänden. Diese Holzvertäfelungen. Alles von 1982.

Hat man auch das Restaurant verändert?

Ja. Es war zwar danach noch ein russisches Restaurant, aber mit einer anderen Interpretation. Davor gab es richtige Folklore, zum Beispiel in der usbekischen Teestube.

Und dann kam die Wende.

Die HO als Betreiber ist erst mal über die Wende hinweggekommen, aber 1992 wurde das Haus von der Treuhand zum Verkauf ausgeschrieben.

Warum sind Sie damals in den alten Mietvertrag eingestiegen?

Der Betreiber der HO-Gaststätte hat einen Partner gesucht.

Viel Erfolg haben Sie nicht gehabt.

Mit der Ausschreibung ist von der Treuhand auch ein Investitionsstopp verhängt worden. Dabei hatte das Haus schon damals einen großen Reparaturstau.

Und die Gäste blieben auch weg.

Ganz platt gesagt war es so, dass bis 1992 die Westler in den Osten gekommen sind, sich einen schrägen Ostkellner angucken und eine Soljanka essen. Die Ostler sind in den Westen gefahren und haben bei McDonald’s einen Hamburger gegessen. Das hörte dann auf. Da gingen die Umsatzzahlen immer weiter zurück. Der Betrieb wurde unrentabel.

Welche Rolle spielte der Personalstamm?

Die Nationalitätenrestaurants waren ja komplett autark. Wenn da etwas kaputt ging, musste man keinen Handwerker bestellen. Es gab schließlich acht Haustechniker. Es gab drei Gärtner. Es gab einen Schlachter und es gab einen Menschen, der sich nur um Fisch gekümmert hat. Was für eine gigantische Maschinerie! Das war Vermögen, heute ist es nicht mehr Vermögen. Heute kann sich das kein Mensch mehr leisten.

Also haben Sie 1994 dichtgemacht.

Der Partybetrieb ging dann noch bis 1997.

Nun wollen Sie das Moskau wiederbeleben, dabei haben Sie es, wie manche argwöhnen, selbst zugrunde gerichtet. Die TLG sagt, wir konnten das Gebäude nicht kaufen, weil der Höcherl auf dem alten Mietvertrag sitzt.

Wir hätten das Haus auch gerne selber gekauft, aber da war keine Einigung möglich. Das Gebäude verfiel, und wir hatten am Ende eine Mietminderung von hundert Prozent. Aber nun haben wir das Kriegsbeil begraben, uns entschlossen, in die Zukunft zu schauen, und uns geeinigt.

Auf einen Fünfjahresvertrag.

Genau.

Und danach ist Schluss?

Danach ist Schluss.

Fünf Jahre, lohnen sich da die Investitionen von 300.000 Euro überhaupt? Was kann man damit finanzieren?

Wir werden an der Raumfolge in der ersten Phase gar nichts ändern. Wir werden also nur reanimieren. Wir haben die Haustechnik saniert. Es ist alles überarbeitet worden, damit es wieder funktioniert. Im Grunde genommen erwecken wir das Moskau aus dem Dornröschenschlaf.

Gilt das auch für den Rosengarten?

Ich hoffe, dass ich es mir leisten kann, den Rosengarten im nächsten Sommer zu eröffnen. Das Problem ist, dass ich mit diesen fünf Jahren einen sehr kurzen Zeitraum habe, um meine Investitionen wieder reinzubekommen.

Deshalb müssen Sie auch solche Veranstaltungen machen wie die Erotikmesse.

Wenn ich das mache, habe ich auf der andern Seite die Möglichkeit, Projekte aus dem kulturellen Bereich zu unterstützen.

Aber Sie haben auch ein Imageproblem.

Ich denke, dass das Haus genügend Raum bietet, beides zu machen.

Urban-Drift und Erotikmesse ist schon eine ungewöhnliche Mischung.

Es ist ein Spagat, auf jeden Fall. Aber wenn ich diesen Spagat nicht machen würde, würde das Haus leer stehen. Das eine will man, das andere muss man.

Wir sind noch immer im Erdgeschoss. Die Logos, die man hier findet, der rote Sowjetstern, Hammer und Sichel, ist heute ja schon Pop.

Ich greife natürlich viele Sachen auf, die hier im Haus entstanden sind, die eine Geschichte haben. Sie haben aber Recht, momentan ist das aktuell. Das ist im Grunde genommen ein Geschenk, das ich da bekomme. Mit ganz vielen Sachen übrigens.

Das hier ist jetzt eine kleine Lobby, oder?

Das ist einer der Salons. Das hieß früher das ukrainische Restaurant. Hier ist ein Durchgang zum Rosengarten. Die Skulptur hier ist von Kühn.

Was ist mit dem Schriftzug, dem kyrillischen Moskau?

Der ist eingelagert. Ich kann es mir einfach nicht leisten, den jetzt draufzusetzen. Der muss aufwändig restauriert werden.

Was kostet das?

Ungefähr 200.000 Euro.

Ach herrje.

Ja, das sind 200 Buchstaben, die ganzen Leuchteinheiten müssen neu gemacht werden, die Kästen sind verrottet.

Wir wohnen hier quasi einer Wiederbelebung step by step bei.

Mehr oder minder. Aber da kann man aus der Not auch eine Tugend machen. Die untere Etage zum Beispiel will ich als Interpretation des 82er-Umbaus verstanden wissen. Im oberen Bereich versuche ich, meinen finanziellen Möglichkeiten entsprechend, immer weiter die 62er-Variante von Josef Kaiser zurückzubauen, in Abstimmung mit dem Denkmalamt natürlich. Das hieße, dass der obere Bereich dann sehr viel transparenter ist, dass diese Wände hier wegkommen, dass man wieder nach draußen und in den Park rein schauen kann.

Was befand sich in diesem großen Raum im ersten Stock?

Das Tanzcafé. Auch von hier konnte man in den Park schauen. Das würde ich gerne auch wieder so machen, aber …

das Geld, verstehe. Das Tanzcafé ist also jetzt mit dem ehemaligen Restaurant zusammen der Hauptteil der Ausstellungsfläche.

Ja, ich habe eine Nettoausstellungsfläche von ungefähr 2.000 Quadratmetern.

Was verbirgt sich hinter diesen Türen?

Weitere, kleinere Salons. Hier wurde, wenn man so will, das Lounging erfunden. Ansonsten hat man die für die Jugendweihe benutzt, für eine Geburtstagsfeier. Vielleicht haben hier auch mal irgendwelche Organe getagt. Aber das, was man dem Haus immer nachsagt, dass hier nur ausländische Staatsgäste verwöhnt worden wären, war nicht der Fall.

Hier sind wie in der Foyer-Bar.

Das ist das Paradestück des 82er-Designs, bong, baff. Fett, solide. Und das lass ich!

Auch die Toiletten?

Da sind natürlich neue Toilettenbecken reingekommen, aber der Grundcharakter bleibt. Deshalb hab ich auch nicht die Kacheln abgerissen, sondern ganz bewusst die hellblauen, polierten Kacheln dringelassen. Wenn da jetzt eine weiße Hightech-Toilette drin wäre, wäre das ein Fremdkörper.

Wird es zwischen den Messen, zwischen Erotikmesse und Urban-Drift, hier auch einen gastronomischen Betrieb geben?

Das Haus interessiert ein unglaublich großes Spektrum an Leuten. Ob das jetzt Leute sind, die auf die Architektur stehen, oder wie auch immer. Es wird unheimlich viel nachgefragt, die Leute wollen ins Haus. Mit einer Gastronomie, da muss ich aber erst mal sehen, ob sich das lohnt. Wenn ich das Geld habe, werde ich auf jeden Fall ein kleines Café integrieren. Was es aber nicht geben wird, ist ein Restaurantbetrieb.

Wenn das Interesse so groß ist, warum dann Messe- und Ausstellungsbetrieb? Den hohen Personalstamm haben Sie nun ja nicht mehr? Nun könnte man da viele Cafés und Clubs haben, und Lounges natürlich.

Das ist schlicht und ergreifend nicht finanzierbar. Das Moskau ist zu groß. Ich brauche diese Messen, um das Haus wieder zu reanimieren. Ein Restaurant zu etablieren hieße zum Beispiel, das Investitionsvolumen zu verdreifachen, weil ich Küchen einbauen muss, und so weiter. Aber natürlich ist es auch so, dass es hier Veranstaltungen geben wird, auch private. Wenn sie also mit fünfzehn Leuten hierherkommen und ihren Geburtstag feiern wollen …

dann bringe ich einen Kasten Bier mit und fertig?

Rein theoretisch ja. Sie können den Raum haben und bringen Ihren Kartoffelsalat mit, weil Sie das besonders gut können. Wenn Sie es nicht können, habe ich einen Caterer, der Ihnen das zur Verfügung stellt. Das gehört zum Spagat dazu, ich will hier auch Familienfeiern haben. Im September haben wir unsere erste Hochzeit, mit achtzig Gästen.

Welche Mieter haben Sie sonst?

Von Donnerstag bis Sonnabend wird hier die Nachtbar vom WMF betrieben, Sonntags gibt’s das GayMF im Haus.

In der georgischen Nachtbar im Keller.

Die war richtig verschärft. Sehr viel Holz, verwinkelt, die hatte auch einen leicht zweifelhaften Ruf.

Zum Unzweifelhaften. Welche Messen sind gebucht?

Die Hauseigentümermesse, die Ostpro.

Also die Messen, die wie die Erotikmesse auch in der Kongresshalle am Alexanderplatz stattgefunden haben.

Teilweise. Im Januar haben wir dann noch „Aktiv im Alter“. Das ist eine Seniorenmesse, die vor allem im Freizeitbereich tätig ist, also keine Inkontinenzhöschen, sondern mehr so die Sache, raus und auf Reisen. Wo ich noch hin möchte, ist, ein Forum für Tauschbörsen zu werden.

Wird das neue Moskau auch auf die Gegend ausstrahlen? Dem Ensemble der neuen Karl-Marx-Allee wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen?

Wir haben draußen, um die Ecke vom Haupteingang, zwei lange Glasvorbauten, die kann man nur von außen betreten. Die werden schon zum Urbandrift-Kongress von zwei jungen Künstlern bespielt, eine ganz wilde Sache ist das. Das eignet sich natürlich auch für Ausstellungen, vor allem aber ist es ein erster Schritt, auch in die Schillingstraße hineinzustrahlen.

Könnte die Schillingstraße nicht auch mal so Kult werden wie das Moskau?

Es wäre total falsch, wenn die Mitte-Szene hier in die Schillingstraße käme. Wenn da mal ein Café aufmacht und die jüngeren Bewohner aus dem Viertel hingehen, ist das natürlich toll. Ansonsten aber finde ich, dass die Schillingstraße keinen Kult braucht. Die sollte lieber wieder als ganz normale Straße für die Leute hier funktionieren.

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