: Komische Repräsentanten
Was lachst du? Die Gratwanderung der Proll-Komödie in multikulturellen Zeiten. Anmerkungen zum Genre der „Migranten-Comedy“ zum Filmstart der englischen Erfolgskomödie „Ali G. Indahouse“
von DANIEL BAX
Als der Film „Ali G. Indahouse“ im Frühjahr in London Premiere feierte, versammelten sich eine Handvoll Politaktivisten zum Protest vor dem Kino. Mit Transparenten und Buhrufen machte das Grüppchen seinem Unmut Luft: Der Film sei rassistisch, weil Ali G., seine Hauptfigur, sich darin über schwarze Jugendkultur lustig mache, kritisierten sie. Organisiert hatte den Protest das britische Polit-Magazin Untold, das vorwiegend schwarze Leser hat. Der Hauptdarsteller, dem der Ärger galt, gab sich davon allerdings völlig unbeeindruckt: Er erschien, ein echter Player eben, mit Krone und Königsrobe und in Begleitung einer Schar Bikinimädchen zur Galafeier.
Hinter der Kunstfigur „Ali G.“ steckt der britische Comedy-Star Sasha Baron Cohen, der in seinen populären TV-Sketchen jenen Typus Jugendlicher persifliert, die auf Englands Straßen US-amerikanische HipHop-Kultur nachspielen. Im Trainingsanzug und mit bunter Brille war er hierzulande erstmals als Chauffeur im Madonna-Video zu ihrem Song „Music“ zu sehen. Zuletzt turnte er slapstickhaft vor jamaikanischer Kulisse mit dem Ragga-Star Shaggy durch die MTV-Rotation: Die beiden hatten gemeinsam ein Duett eingespielt, das es im Frühjahr in England sogar bis an die Spitze der Charts gebracht hat. Man kann also sagen, dass Ali G. dort so etwas wie eine Comedy-Kultfigur ist.
Einer seiner Scherze geht so: In einem Trailer, der kürzlich auf Viva zu sehen war, witzelte Ali G. darüber, mit den Radiowellen seines Piratensenders das Radarsystem des nahe gelegenen Heathrow-Airports beeinträchtigt und so ein Flugzeug zum Absturz gebracht zu haben. Aber: Es wäre lediglich ein russisches Flugzeug gewesen, und das wäre ohnehin früher oder später abgestürzt. Den Angehörigen der Opfer versprach er großzügig handsignierte Autogrammkarten. Gut, das hätte auch von Harald Schmidt sein können. Doch in England hat Ali G. nicht nur Fans: Die Untold-Leser, aber auch die Musiker der Asian Dub Foundation etwa sind not amused.
Karikatur der Klischees
Dass es aber nun zu irgendwelchen Kontroversen kommt, wenn der Film „Ali G. Indahouse“ jetzt auch in die deutschen Kinos kommt, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Zum einen, weil es hierzulande eigentlich niemanden gibt, der in Fragen von Comedy und Popkultur Political Correctness gegenüber Minderheiten einfordern würde – dafür aber erstaunlich viele, die meinen, die Rücksichtnahme auf solche Empfindlichkeiten gehe ohnehin schon viel zu weit. Zum anderen, weil sich niemand direkt getroffen fühlen dürfte: Der Film spielt schließlich in England und auf dortige Verhältnisse an. Tatsächlich macht sich Ali G. auch weit weniger über spezifisch schwarze Street Culture lustig, als seine Kritiker bemängeln. Vielmehr karikiert er deren Klischees (etwa mit einer tränentreibenden Ghetto-Bandenkrieg-Persiflage im Vorspann des Films, zum bedrohlichen HipHop-Hintergrundstakkato von „Straight out of Compton“) sowie die Absurditäten, die sich aus der Übertragung solcher Codes und Haltungen auf völlig andere Lebensverhältnisse ergeben: auf die in einer biederen englischen Vorstadt zum Beispiel.
Beispielhaft dafür ist etwa jene Szene, in der Ali G. eröffnet wird, dass seinem soziokulturellen Jugendzentrum, in dem er als Betreuer arbeitet, die öffentlichen Mittel gestrichen werden sollen. Von wem sollen die Kiddies jetzt ihre Breakdance-Moves und ihren Straßenslang lernen? Traurig betrachtet Ali G. seine Schützlinge, wie sie auf dem Boden turnen, in kitschiger Zeitlupe wie in einem Ghettoschulfilm à la „Gangsta’s Paradise“, und seine riesigen Brillengläser füllen sich langsam mit Wasser …
Vielleicht handelt es sich bei der Kritik am Phänomen Ali G. tatsächlich nur um ein großes Missverständnis: Denn „Ali G. Indahouse“ gehört recht eigentlich dem Genre der Proll-Komödie an, und muss daher im Grunde auch nach deren Gesetzen bewertet werden: Nur, dass der Film und seine Haupfigur eben reflektieren, dass das Proletariat moderner europäischer Großstädte heute multiethnisch ist, geprägt von HipHop und Ragga. So gesehen, ist Ali G. nichts weiter als ein geistiger Neffe von Mike Myers aus „Wayne’s World“, der, als Karikatur eines Heavy-Metal-Fans aus den US-Suburbs, vor fast zehn Jahren weltweit Kassenrekorde brach.
Deutsche Epigonen
Das bayrische Komikerduo „Erkan & Stefan“ ist auch so ein Fall: Die deutschen Epigonen von Ali G. haben das britische Witzfigurmodell in eine deutlich entschärfte deutsche Doppelversion übertragen, ihr zweiter Film „Erkan und Stefan und die Mächte der Finsternis“ läuft zurzeit ebenfalls recht erfolgreich in den deutschen Kinos. Ihm allein aufgrund des Kanak-Sprak-Slangs seiner Protagonisten das Attribut „Migranten-Comedy“ anzuhängen wäre aber auch hier verfehlt: Der Film ist zuallererst eine klassische Pubertätsklamotte, dessen Witze betont häufig um ein Joypad mit Bunny-Zieh-dich-aus-Funktion kreisen (Mit Bunny sind die weiblichen Wunschpartner des Duos gemeint). Aber, hey: Die Zielgruppe des Films ist wahrscheinlich mitten in der Pubertät. Dabei hat der Film durchaus seine originellen Szenen: Etwa, wenn Erkan & Stefan bei ihrer Arbeit als Gepäcklader auf dem Flughafengelände mit den Koffern und Taschen der Reisenden Basketball spielen. Oder das Wettrennen ihrer Handys, die sich allein durch ihre Vibrationsfunktion auf die Zielgerade zubewegen. Das sind Ideen, die irgendwie schon direkt aus dem Leben gegriffen wirken.
Zur Standarderzählung einer echten Proll-Komödie gehören die Verwicklungen, die entstehen, wenn es dem Unterschichts-Helden einmal zustößt (und es stößt ihm viel eher zu, als dass er es aktiv betreibt), dass er seinen standesgemäßen Ort verlässt. Für dramaturgisch elementare Momemte bricht er ein in die heile High-Brow-Welt, wird für eine kurze Weile König oder Präsident und sorgt so ordentlich für Verwirrung: Exemplarisch dafür stehen die Komödien von Eddie Murphie, der in „Die Glücksritter“ mit Dan Akroyd die Rollen tauschte, um an seiner Stelle vorübergehend Millionär zu werden. Ihren Charme, wenn der Ausdruck statthaft ist, beziehen solche Komödien meist aus der Anarchie, die entsteht, wenn die herrschende Ordnung für kurze Zeit aus den Angeln gehoben wird. Bei „Ali G. Indahouse“ ist es eine politische Intrige, die dafür sorgt, dass der unbedarfte Tropf für eine Weile als Minister ins Kabinett aufsteigt. Als solcher setzt er eine ganze UN-Konferenz unter Drogen und verhindert so einen Weltkrieg. Aber das nur am Rande.
Zum anderen handeln solche Filme natürlich von Omnipotenzfantasien: vom Glück des Underdogs, wenigstens einmal einen Platz an der Sonne ergattert zu haben und das schönste Mädchen dazu: Darum auch sind sie wohl bei Minderprivilegierten so beliebt. Am Ende aber wird stets die herrschende Ordnung wiederhergestellt. Bei „Ali G. Indahouse“ kehrt der Held am Schluss in sein Viertel zurück und in die Arme seiner Freundin. Und in „Erkan und Stefan gegen die Mächte der Finsternis“ bekommen die beiden Helden zum Lohn eine Nacht mit der Superheldin Tana versprochen. Doch statt mit ihr in die Kissen zu springen, verschlafen sie ihren Einsatz. Unnötig zu sagen, dass „Erkan und Stefan“ im Vergleich zu „Ali G.“ der sehr viel harmlosere Familienspaß ist.
Migranten und Mehrheit
Wozu aber dann die ganze Aufregung etwa der Untold-Lobby über „Ali G.“? Wer hat hier ein Problem außer ein paar Bedenkenträgern, für die solche Filme ohnehin nicht gemacht sind? Zumal Selbstironie ja kein Privileg von Intellektuellen ist und die, die man im Kino eher unvorteilhaft porträtiert glaubt, oft diejenigen sind, die an den peinlichsten Stellen am lautesten lachen? Wozu also sich überhaupt einen Kopf machen?
Vielleicht, weil nicht selten ein fader Nachgeschmack bleibt, wenn sich Mehrheiten über Minderheiten amüsieren. Schließlich werden dabei oft genug vorherrschende Überlegenheitsgefühle ventiliert. Dass Komödianten wie Erkan & Stefan, Ali G., Mundstuhl und andere, die selbst der Mehrheit angehören, in die Rolle von Migrantenfiguren schlüpfen, um deren Erscheinungsbild, Sprache und Attitüden zu karikieren, erinnert nicht von ungefähr auch ein wenig an die Minstrel-Shows der Jahrhundertwende, in denen sich weiße Schauspieler die Gesichter schwarz färbten, um sich über vermeintlich schwarze Eigenheiten lustig zu machen.
Dabei lässt sich aus den Missverständnissen und Absurditäten des multiethnischen Alltags, den kleinen und großen Reibereien der urbanen Kulturen durchaus allerhand satirisches Material abschöpfen. Nur erschöpft sich gelegentlich der Witz darin, sich schlicht über die Andersartigkeit des Anderen zu mokieren. Sein unpassendes Äußeres. Seinen komischen Akzent. Dann siedelt auch der vermeintliche so fortschrittliche Multikulti-Witz manchmal recht nahe am gewöhnlichen Ressentiment.
Zumal man hierzulande schon mit kleinen Abweichungen von der Norm für mittelschwere Zwerchfellbeben sorgen. Manchmal reicht es ja schon, auf offener Bühne „Ich will ficken“ zu sagen: Ingo Appelt hat darauf eine ganze Karriere aufgebaut. Und es steht zu befürchten, dass auch Erkan & Stefan allein schon aufgrund ihrer schreiend bunten Trainingsanzüge als Komödianten gehandelt werden. So wie die La Palöma Boys, deren Komik sich darauf beschränkte, dass sie Songs mit sächsischem Akzent sangen: Solcher Ossiwitz ist eben auch selten mehr als ein Spiegel westlichen Dünkels.
Gerne lacht man in Deutschland über Leute, die man für irgendwie dümmer – oder zumindest für weniger artikuliert – hält als sich selbst. Ein Stefan Raab macht sich in seiner Sendung ja eigentlich nie über Intellektuelle lustig. Lieber hält er sich an leichten Opfern schadlos und führt wochenlang irgendwelche Nobodys vor, nur weil sie einen anzüglichen Nachnamen besitzen, als wäre das nicht schon Strafe genug. Oder er lässt seine ausländischen Gäste, US-Stars wie Brandy etwa, Nonsenssätze auf Deutsch nachsprechen und nötigt sie, sich vor dem Saalpublikum zum Hanswurst zu machen. Das ist dann deutscher Humor.
Dass mittlerweile auch türkischstämmige Kabarettisten wie Kaya Yanar und Django Asül den TV-Bildschirm erobert haben, sorgt immerhin für einen Ausgleich: Sie können es der Mehrheitsgesellschaft gelegentlich mit gleicher Münze heimzahlen. Auf solchen Kontext kommt es letztlich an bei der Bewertung von Figuren wie Ali G. und Erkan & Stefan. Wenn sich die mediale Repräsentation von Migranten allein auf deren Darstellung als Witzfiguren beschränkt, dann ist die Schieflage beträchtlich. Wenn es aber auch arabische Comedy-Stars oder türkische TV-Kommissare zu sehen gibt, ist immerhin für eine gewisse Balance der Bilder gesorgt (auch wenn der überassimilierte RTL-Kommissar Sinan Toprak auf RTL eine fragwürdige Identifikationsfigur ist). Kino, TV und Popkultur sind immerhin schon einen kleinen Schritt weiter als die Politik.
Bedeutungsvoll erscheint es da, dass Ali G. in seinem ersten Spielfilm seinen gesellschaftlichen Aufstieg ausgerechnet über das britische Parlament nimmt: Es erinnert daran, dass Migranten gerade in der Sphäre der Politik noch immer unterrepräsentiert sind. Das dürfte sich auf absehbare Zeit kaum ändern, auch nach den Wahlen nicht. Dass hierzulande nun ausgerechnet Erkan & Stefan jüngst dazu auserkoren wurden, in einer Aktion der Bundeszentrale für Politische Bildung auf Berliner Plakatwänden mit dem Slogan „Du hast das Wahl, Alter“ Jungwähler zum Urnengang zu motivieren, besitzt da eine gewisse doppelbödige Ironie: Fraglich nur, ob sich Migranten der zweiten Generation davon angesprochen fühlen.
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