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Tödliche Bombenanschläge in Kabul

Die Explosion einer schweren Autobombe tötet im Zentrum der afghanischen Hauptstadt zahlreiche Passanten.In Kabul wächst das Gefühl der Unsicherheit, nachdem es in letzter Zeit immer häufiger zu Bombenanschlägen kam

von SVEN HANSEN

Im Zentrum Kabuls hat gestern Nachmittag ein schwerer Bombenanschlag zahlreiche Tote gefordert. Laut Augenzeugen sei bereits zuvor eine kleine Bombe beim Spinzar-Hotel detoniert. Danach seien in dem belebten Marktviertel viele Schaulustige zusammengeströmt, als kurz darauf eine zweite in einem Taxi versteckte Bombe vor dem angrenzenden Ministerium für Kultur und Information detonierte. Dabei seien mindestens 30 Personen, darunter 2 Polizisten, getötet und 50 weitere verletzt worden, berichtete Kabuls stellvertretender Polizeichef, Mohammed Khalil, gegenüber Reuters. Ein anderer Polizeioffizier sprach zuvor von 22 Toten und mindestens 20 Verletzten.

Das Ministerium, bei dem zahlreiche Scheiben zu Bruch gingen, befindet sich auf der Rückseite des noblen Spinzar-Hotels. Die zweite Bombe löste eine Panik aus. Tausende Menschen flohen aus dem Gebiet, in dem normalerweise dichtes Gedränge herrscht. Unklar blieb zunächst, ob die Bombe dem Ministerium galt. Khalil beschuldigte spontan den Islamistenführer Gulbuddin Hekmatjar, die Taliban und das Terrornetz al-Qaida der Tat. Zwar ist diese ihnen allen zuzutrauen und die damit erreichte Destabilisierung wäre in ihrem Interesse. Aber Khalils undifferenzierter und unbewiesener Vorwurf lässt eher vermuten, dass er noch im Dunkeln tappt.

Der nach seiner Ausweisung aus dem Iran im Frühjahr untergetauchte afghanische Warlord Hekmatjar hatte erst am Vortag gegenüber einer pakistanischen Zeitung zum heiligen Krieg gegen die USA und andere ausländische Truppen aufgerufen. Hekmatjar, der sich vermutlich in Ostafghanistan versteckt hält, war Anfang der 90er-Jahre Premierminister des Landes. In den 70er-Jahren hatte er westlich gekleidete Frauen mit Säure angegriffen und dann in den 80er-Jahren mit Unterstützung der USA eine der Fraktionen geführt, die gegen die sowjetischen Besatzer kämpften. Während der späteren Machtkämpfe der Mudschaheddin ließ er Kabul mit Raketen beschießen.

Der gestrige Bombenanschlag ist der schwerste in Kabul seit dem Sturz der Taliban Ende vergangenen Jahres. Bereits in letzten Wochen hatte es in Kabul und Kandahar zahlreiche Explosionen gegeben. Zum Teil handelte es sich um explodierende Blindgänger, andere Detonationen waren eher dilettantisch durchgeführte Bombenanschläge, die meist nur geringen Sachschaden anrichteten. Trotzdem wuchs die Unsicherheit, weil zunehmend auch ausländische Ziele wie das UN-Gästehaus betroffen waren.

Dabei gilt die Hauptstadt wegen der Anwesenheit von knapp 5.000 Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf noch als relativ sicher. Doch auch diese Truppe konnte nicht verhindern, dass bereits zwei Minister in Kabul ermordet wurden. Die Regierung steht auch wegen interner Rivalitäten auf wackeligen Beinen. Bisher konnte sie die hohen Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllen. Reste der Taliban und von al-Qaida könnten jetzt zusammen mit frustrierten Warlords versuchen, sie vollends zu destabilisieren.

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