„Die Ordnung wird sich ändern“

Michael S. Kimmel fragt seine Geschlechtsgenossen: Wollt ihr in diese Zukunft geprügelt werden, oder wollt ihr überlegen, was ihr davon habt?

Interview HEIDE OESTREICH

taz: Herr Kimmel, normalerweise wollen Frauen Gender Mainstreaming, weil sie Frauen sichtbarer machen wollen. Sie dagegen sagen, Männer sind das unsichtbare Geschlecht. Ein Witz?

Michael S. Kimmel: Überhaupt nicht. Natürlich sind Männer überall sichtbar. Aber ihr Geschlecht ist es nicht. Für Männer ist es wie für Weiße oder Heterosexuelle: Sie fühlen sich schlicht normal. Wenn Sie in den Spiegel sehen, was sehen Sie?

Eine Frau.

Sie sehen aber nicht: eine weiße Frau. Das Privileg weiß zu sein, ist für Sie unsichtbar. Bei Männern ist es genauso. Ich habe Privilegien, einfach so, weil ich ein Mann bin.

Aber warum sollten sich die Privilegierten auch für ihre Privilegierung interessieren? Sie genießen sie einfach.

Oder auch nicht. Wir haben ein Modell der Männlichkeit, das eher unbehaglich ist. Wir haben keine guten Beziehungen – zu unseren Kindern, zu unseren Frauen. Wir könnten von Geschlechtergleichheit profitieren.

Das denken Sie vielleicht. Die meisten anderen Männer denken, sie hätten einiges zu verlieren.

Aber hier ist die Neuigkeit, ob sie sie hören wollen oder nicht: Die Ordnung wird sich ändern. Das Gesetz ändert sich. Die Demokratie verlangt, dass Frauen auch repräsentiert sind. Dass sexuelle Belästigung illegal ist. Dass Vergewaltigung oder Prügel in der Ehe ein Verbrechen ist, kein Privileg. Ich sage: Okay, Leute, die Welt ändert sich. Wollt ihr in diese Zukunft getreten und geprügelt werden oder wollt ihr überlegen, was ihr davon habt?

Wie kommt es, dass Sie so eine hohe Meinung von Gesetzen haben? In den USA hat die Gesellschaft sich gegen affirmative action , die Bevorzugung von Frauen und Schwarzen in der Arbeitswelt, so zur Wehr gesetzt, dass einige Staaten diese Regelung wieder abgeschafft haben.

Haltungen in der Gesellschaft hinken der legalen Entwicklung oft hinterher. Es gibt Backlashs, es gibt Subversion, selbstverständlich. Ich vertraue auf Gesetze, weil sie ein Anfang sind. Das Gesetz kann eine Frau beschützen, wo sie vorher nicht geschützt war, nicht mehr und nicht weniger.

Also versuchen Sie, Männern die Abschaffung ihrer Privilegien schmackhaft zu machen?

Nicht nur. Es gibt auch Bereiche, etwa Vaterschaft, da würden sie davon profitieren. Die Art, wie Männer heute Männer sind, hält sie davon ab, gute Väter zu sein. Das ist traurig.

Gibt es nicht ganz andere Mächte, die diese Geschlechterordnung stabilisieren? Es scheint etwa sehr funktional für unser Wirtschaftssystem zu sein, dass man den größtmöglichen Wert aus der einen Hälfte presst und die andere sie dann unbezahlt reproduziert.

Das ist ja gerade das Interessante. Wir dachten, dass diese geteilte Welt perfekt für den Kapitalismus sei: Man bekommt zwei Arbeiter für den Preis von einem. Es gab nur ein Problem: Es funktionierte nicht. Warum? Weil die Frauen nicht zu Hause sein wollten. Die allergrößte Veränderung in der Wirtschaft des 20. Jahrhunderts war, dass die Frauen in die Arbeitswelt jenseits der Fabriken Einzug hielten. Nun muss sich der Kapitalismus damit abfinden. Allerdings müssen die Männer noch den Haushalt entdecken.

Ist der heutige Zustand nicht erst wirklich funktional? Drei Arbeiter zum Preis von anderthalb, wenn man bedenkt, dass Frauen schlechter bezahlt werden?

Genauso könnten Sie sagen, dass man die Männer nach Hause schicken muss, damit man die volle Arbeitskraft der Frauen ausnutzen kann, nicht nur zwei Drittel. Das wird sich ändern. Wir in Amerika sollten zu Arbeitszeiten kommen wie Sie in Europa. Fünfzig Wochenarbeitsstunden und eine Woche Urlaub im Jahr, das ist im Moment die amerikanische Realität.

Heißt das, dass es auch ein anderes Bild von Männlichkeit in den USA gibt als in Europa?

Ja. Der amerikanische Mann funktioniert heute nach dem Modell Selfmade-man: Du kannst alles werden. Es liegt bei dir, nicht etwa an der Herkunft oder einem anderen Merkmal. Aber die Konsequenz ist nicht, dass man hoffnungsvoll schaut, wie man nach oben kommt, sondern dass man immer Angst hat, abzustürzen. Deshalb strengen sich amerikanische Männer so rasend an, ihre Männlichkeit zu beweisen. Das Ergebnis ist: mehr sexuelle Belästigung, mehr Vergewaltigungen, mehr Amokläufe. Ansonsten haben Männer überall im Kapitalismus dasselbe Problem, das Max Weber das „stahlharte Gehäuse der Hörigkeit“ nennt. Kapitalismus treibt die Männer in immer weiteren Wettbewerb.

Ist es deshalb nicht wahrscheinlicher, dass auch Frauen so enden? Im selben Gehäuse?

Ich glaube an das Konzept der nichtreformistischen Reform, wie der Arbeitssoziologe André Gorz es nannte: Wenn man bestimmte Reformen implementiert, können sie Revolutionen in Gang setzen. Wenn Frauen und Männer die Hausarbeit neu organisieren, wird das System sich anpassen müssen.

Wer oder was hält denn die Männer im Moment in diesem Modell?

Männer sagen, dass sie sich gegenüber Frauen beweisen müssen. Das stimmt nicht, wenn man nachfragt. Es sind die Väter, die Arbeitskollegen und Freunde. Sie sind eine homosoziale Gruppe.

Die Frauen sind unschuldig?

Natürlich sind sie genauso verstrickt. Die Neuigkeit ist nicht, dass Männer verwirrt sind und Frauen nicht. Die Neuigkeit ist, dass beide verwirrt sind. Aber Frauen sind so schlau, zu fragen: Vielleicht sollten wir zusammen was daran ändern. Männer denken immer noch, sie müssten alles alleine lösen.

Und was hat sie zum Profeministen gemacht?

Als ich Student war, schrieb meine Freundin eine Arbeit über geschlagene Frauen. Ich war ein weißer Mittelklassejunge, ich hatte absolut keine Ahnung davon, dass viele Männer ihre Frauen schlagen. Ich habe es noch nicht mal geglaubt. Aber ich habe einige der Frauen getroffen. Das verändert einen, wenn man eine Frau ins Krankenhaus fährt oder zum Frauenhaus, oder ihre Kinder aus der Wohnung holt, weil sie Angst hatte, er würde sie umbringen.

Sie durften als Mann in ein Frauenhaus gehen?

Unser Auto war ein VW mit Gangschaltung, ungewöhnlich in den USA. Meine Freundin konnte es nicht fahren. Deshalb war ich der einzige Mann, der wusste, wo das Frauenhaus ist. Ich dachte, es muss unbedingt etwas getan werden, ich wollte mit im Frauenhaus arbeiten. Meine Freundin sagte: Das kannst du nicht. Du bist ein Mann. Warum redest du nicht mit den Männern? Ich sagte, du machst wohl Witze, ich rede doch nicht mit denen, die sind schlecht, sie schlagen Frauen. Ich will mit den Frauen reden. Aber Sie sagte: Du hast die natürliche Konstitution der Hälfte der Menschheit: Geh und rede mit ihnen! Also tat ich es. Also rede ich mit Männern darüber, dass Feminismus nicht ein Verlust an Macht ist, sondern ein Gewinn an Beziehungen.