piwik no script img

Vorgefundenes Bildmaterial befragt

Von den Bedingungen des Filmens und manipulativen Verhandlungsgesprächen: Harun Farocki präsentiert im Lichtmeß seine reflexiv-dokumentarischen Filme „Der Auftritt“ (1996) und „Die Bewerbung“ (1997)

„Wer ist Farocki?“, lautet der Titel eines Essays, der 1975 in den Cahiers du Cinema erschienen ist. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Farocki erst neun, zumeist kurze Filme gedreht. 27 Jahre später umfasst die Filmographie des Regisseurs 39 Werke, darunter Dokumentationen, Spielfilme und Film-Essays. Hinzugekommen sind seit 1995 eine Reihe von Installationen, zuletzt „Ich glaubte, Gefangene zu sehen“ im Rahmen der Ausstellung ctrl [space], die 2001 am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe zu sehen war.

Doch die Frage ist heute genauso berechtigt wie vor 27 Jahren: Wer ist Harun Farocki? Der Filmkritiker Thomas Elsaesser, der derzeit an einem Buch über den Regisseur arbeitet, fand 1993 folgende Antwort: „Harun Farocki ist Deutschlands bekanntester unbekannter Regisseur.“

Dass Farocki in den letzten Jahren auch außerhalb von Spezialistenkreisen etwas mehr an Bekanntheit gewonnen hat, liegt in seinen Anfängen als Filmemacher begründet. Er gehörte als Student zum ersten Jahrgang der 1966 eröffneten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Hier traf er auf Kommilitonen wie Helke Sander, Hartmut Bitomsky, Wolf Gremm und das spätere RAF-Mitglied Holger Meins. Innerhalb nur eines Jahres wurde die DFFB zu einem Experimentierfeld, auf dem die politischen Möglichkeiten des Mediums Film ausprobiert wurden. Die zunehmende Radikalisierung der Inhalte führte im November ‘68 zur Relegation einer Gruppe von Studenten, zu der auch Farocki gehörte.

Das in den letzten Jahren erstarkte Interesse an den damaligen politischen Umwälzungen hat im neueren deutschen Kino die Aufmerksamkeit wieder auf die damaligen Akteure gelenkt (Black Box BRD, Die innere Sicherheit, demnächst Baader). Vor kurzem erst durfte sich Harun Farocki im Dokumentarfilm Starbuck Holger Meins an seinen Ex-Kommilitonen erinnern, für Die innere Sicherheit hat er das Drehbuch geschrieben.

Viel interessanter als Farockis Zeitzeugenschaft ist jedoch seine Entwicklung weg vom direkten politischen Kino der DFFB-Zeit hin zu einem reflexiv-dokumentarischen Stil, der in immer neuen Variationen um den Zusammenhang zwischen Bildern, ihrer Produktion und der Realität kreist. Schon die Titel vieler seiner Filme verweisen auf seinen reflexiven Umgang mit dem Medium: Etwas wird sichtbar (1980-82), Bilder der Welt und Inschrift des Krieges (1988) oder Videogramme einer Revolution (1992). Sie alle benutzen vorwiegend vorgefundes Bildmaterial, das durch Montage und Off-Kommentare befragt wird nach den ökonomischen, politischen und ideologischen Bedingungen ihrer Entstehung und Verbreitung.

Im Gegensatz zu den von Farocki befragten Bildern von Kriegen und Revolutionen, die im Fernsehen endlos wiederholt werden, ist es sehr schwierig, seine Filme zu sehen. Zuletzt bestand in Hamburg die Möglichkeit im Rahmen der Ausstellung Art & Econmy. Zu sehen waren dort neben Die Schulung, Die Umschulung und Die Schöpfer der Einkaufswelten auch die beiden Filme, die nun das Lichtmeß zeigt: Der Auftritt und Die Bewerbung. Getreu seines Mottos „Zeichen werden nicht in die Welt gesetzt, sondern im Wirklichen aufgegriffen“, demonstriert Farocki an Archivmaterial, das er durch subtile Schnittfolgen neu montiert hat, die manipulativen Verhandlungsgespräche zwischen einer Werbeagentur und einer Optikfirma, der ein neues Image verpasst werden soll.

Volker Hummel

Do (in Anwesenheit des Regisseurs), 20 Uhr, Lichtmeß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen