: Trotzig vor die Hunde
Spiel mir das Lied vom Zechensterben: Das Amber Kollektiv porträtiert in „Like Father“ drei Generationen aus der Arbeiterklasse und übt vorsichtig Kritik an ihren Ritualen
Was ist nur aus dem englischen Proletariat geworden? Zuerst von Maggie Thatcher malträtiert, dann von Tony Blair verraten. Der englische Film, der lange den Verfall des Menschen und seiner Produktivkräfte thematisierte, scheint ein wenig ins Hintertreffen geraten zu sein – ähnlich wie sein Lieblingsgegenstand. Eine kleine Gruppe von Filmemachern aber, das Amber Kollektiv, seit 1969 in Newcastle ansässig, verfolgt die Spuren hartnäckig weiter.
„Like Father“ ist ein Film über die Post-Arbeiterklasse. Die Kohlezeche existiert nur noch als tiefes totes Loch mit einem gigantischen schwarzen Haufen oben drauf. Ein Abenteuerspielplatz für Kids. Drei Generationen einer Familie werden in dem Film präsentiert. Der Älteste, Arthur Elliott, früher Minenarbeiter, hat nur noch seine Brieftaubenzucht. Die steht auf einem Grundstück, das er schon ewig gepachtet hat – von der Grubengesellschaft. Die will nun in Labour-Manier nach einem großen Masterplan die Gegend „entwickeln“. Die Developper gehen nach dem alten Streikbruch-Prinzip vor: Spalte deinen Gegner. So werden die ersten Taubenhalter mit Geld von ihren Grundstücken gelockt – nur Arthur gibt sich einfach unbestechlich.
Umso schlimmer für ihn, als er aus der Zeitung erfährt, dass sein Sohn Joe, auch er Exminenarbeiter, mit den „Bossen“ kungelt. Joe bringt sich und seine Familie gerade so durch als Clubsänger und Musiklehrer. Nebenbei säuft er ziemlich was weg. Joe ist sehr musikalisch und die Grubenleitung beauftragt ihn, eine Komposition für eine große Feier zu schreiben. Seine Frau schmeißt Joe raus, weshalb er einsam und verlassen in einem angemieteten Wohnwagen komponiert. Als wäre die Entfremdung von seinem Vater noch nicht stark genug, erfährt er auch noch, dass sein Dad früher ebenfalls Musiker war – ihm aber die Musik als Kind verboten hatte.
Die Amber-Leute üben mit ihrem Film, wenn auch vorsichtig, Kritik an den Ritualen der Arbeiterklasse. Seine kreativen Talente auszuleben, auch außerhalb von Arbeiterkapellen, ist nicht gerade gefragt. Maloche und Musik zusammen geht meist nicht. Das Amber Kollektiv arbeitet weitgehend mit Nichtschaupielern und entwickelt seine Geschichten vor Ort. Die Authentizität wirkt so nicht aufgesetzt. Sprache und Gestik sind echt.
Die eigentliche Frage, die das Generationendrama „Like Father“ stellt, ist jedoch: Wie weit muss man Kompromisse machen und mit der Gegenseite zusammenarbeiten, ohne sich und seine Leute zu verraten? Heimliche Sympathie meint man für den Weg von Joe zu haben – der kreative Kollaborateur kommt am besten weg. Der alte Arthur ist eher der Querkopf, der lieber den Grubenleiter als Geisel nimmt, als aufzugeben. Letztlich muss jeder seinen eigenen Weg gehen und verantworten.
Solidarität gibt es vielleicht noch auf privater Ebene, aber nicht mehr als kollektive Kampfmaßnahme der Arbeiterklasse. Arrangier dich oder geh trotzig vor die Hunde, das scheinen die Alternativen zu sein.
ANDREAS BECKER
„Like Father“. Produktion Amber. Mit Joe Armstrong, Ned Kelly, Jonathan Dent. Großbritannien 2001. Im fsk am Oranienplatz und Filmbühne am Steinplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen