schnittplatz: Wahlempfehlung:Patient „FTD“
Wie kommt eine seriöse, an Auflage an die taz erinnernde Wirtschaftszeitung zu ihrer politischen Grundeinstellung? Richtig: Durch den gesamtredaktionellen Diskurs, so geschehen bei der Financial Times Deutschland am vergangenen Freitag. Sechs Stunden lang, bis 21.00 Uhr am Abend – das gibt es nicht mal mehr in der taz-Zentrale Kochstraße.
Danach zog sich die Chefredaktion zur Beratung zurück – und verkündete anschließend das Gegenteil von dem, was die Mehrheit der Diskutanten gefordert hatte.
Denn schließlich musste ein „Endorsement“ her, eine Wahlempfehlung der Zeitung, wie im angelsächsischen Journalismus üblich. Und dafür spricht auch viel: Besser als die indirekte Unterstützung für die eine oder andere Seite, wie sie von fast allen deutschen Gazetten ungeachtet des Credos „unabhängig-überparteilich“ im Zeitungskopf praktiziert wird, ist solch ein klares Bekenntnis allemal.
Doch so ganz mag die FTD ihren Lesern dann doch nicht die volle Tradition britischen Blattmachens zumuten: Die Wahlempfehlung solle „nicht als Empfehlung an unsere Leser missverstanden werden, eine bestimmte Partei zu wählen“, schrieb das FTD-Chefredaktionsduo – bemerkenswerterweise allerdings unter dem Titel „Warum die FTD eine Wahlempfehlung aussprechen wird“.
Damit der Verwirrung nicht genug: Der Beitrag war Auftakt einer Kommentarserie, die neben dem Redaktions-Powow zur allgemeinen Richtungsfindung dienen sollte. Die daraufhin täglich erscheinenden Artikel stellten der amtierenden Koalition insgesamt ein gar nicht mal so schlechtes Zeugnis aus. Schon gar nicht fanden sich überzeugende Hinweise darauf, dass es die Union deutlich besser machen würde.
Entsprechend konträr muss die Diskussion zwischen Chefredaktion und Redaktion verlaufen sein. Doch Chefs bleiben Chefs, und nach dem Ausflug in die Basisdemokratie herrscht nun Katerstimmung.
Die Financial Times Deutschland gibt also heute als erste Zeitung der Berliner Republik eine Wahlempfehlung ab. Für die Union natürlich. Das gehört sich so für eine Wirtschaftszeitung, auch wenn sie auf rosa Papier gedruckt wird. STG
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