: Brandenburger Dorf probt Aufstand
Die Einwohner des kleinen brandenburgischen Ortes Haseloff haben ihre Wahlbenachrichtigungskarten zurückgeschickt. Damit protestieren sie gegen „Behördenwillkür“. Bei der Gemeindereform wurde der Name ihres 625 Jahre alten Dorfes gestrichen
aus Haseloff BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Auf dem Ortseingangsschild steht Haseloff, und auf dem Ortsausgangsschild steht auch Haseloff. Verwirrend sind nur die vier großen Laken rund um den Dorfplatz des 124-Einwohner-Ortes in Brandenburg. „Haseloff lebt weiter!“ Auf Transparenten an Hauswänden, über dem Dorfteich und zwischen Bäumen steht „Haseloff“, „Haseloff lebt“, „Willkommen in Haseloff“. Wozu muss man das so deutlich klarstellen? Ist, wo Haseloff draufsteht, nicht Haseloff drin?
Diese Frage bewegt die Einwohner des hübschen Dorfes 80 Kilometer südwestlich von Berlin, die erst im Juni das 625-jährige Bestehen ihres Fleckens feierten. Als die Haseloffer ihre Wahlbenachrichtigungskarten bekamen, rieben sie sich ungläubig die Augen. Die Straßennamen in der Anschrift stimmten, aber statt Haseloff war der Name des drei Kilometer entfernt liegenden Dorfes Grabow mit dem Zusatz Mühlenfließ genannt. In ihren Ausweisen jedoch heißt es: Haseloff-Grabow, Ortsteil Haseloff. Flugs sammelten sie Unterschriften gegen das plötzliche Verschwinden ihres Dorfnamens und von den 97 Stimmberechtigten schickten 84 ihre Wahlbenachrichtung zurück. Mit dem Hinweis, dass die Anschriften nicht stimmen. Die Märkische Allgemeine berichtete von einem geplanten Wahlboykott.
Was war passiert? Bis Anfang dieses Jahres bildete Haseloff mit Grabow die Doppelgemeinde Haseloff-Grabow. Im Zuge der Gemeindegebietsreform, bei der die Zahl der Gemeinden fast halbiert wird, wurden die Orte mit drei weiteren Gemeinden zusammengelegt – zu Mühlenfließ. Um bei der Namensgebung niemanden zu bevorzugen, wurde dieser Name erdacht. Nach der neuen Gemeindeordnung ist Haseloff kein Ortsteil mehr, sondern ein „bewohnter Gemeindeteil“ und verliert damit seinen Anspruch auf einen eigenen Namen. Eine Fußnote der Reform, von der die Haseloffer kalt erwischt wurden. Dabei hätten die Gemeindevertreter nach Angaben des Innenministeriums im Fusionsvertrag den Doppelnamen Haseloff-Grabow festlegen können. Haben sie aber nicht.
„So wie es jetzt ist, verlieren wir unsere Identität“, beschreibt Uwe Stahlberg, vor 47 Jahren in Haseloff geboren, das Problem. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hatte als zentrale Herausforderungen der Reform neben der Freiwilligkeit den „Erhalt gewachsener Identität der Dörfer“ genannt. Auch wenn Haseloff ein kleiner Ort ist, wolle man sich gegen „die Behördenwillkür“ zur Wehr setzen, sagt Stahlberg. „Weil wir keine Grabower sind, sondern Haseloffer“, ergänzt seine Frau Evelin. Die beiden betonen, dass es keinen Wahlboykott geben werde. Dass dieser Eindruck entstanden ist, war ihnen aber ganz recht: „Wer interessiert sich sonst schon für so ein kleines Dorf?“.
Der Leiter des Amtes Niemegk, zu dem Haseloff als Teil der Gemeinde Mühlenfließ gehört, hat Verständnis für den Unmut. „Früher war klar, wo jemand herkommt, und die Leute wollen den Ort, in dem sie wohnen, auch weiterhin im Ausweis haben“, sagt Günter Rockel (CDU). Er schätzt, dass in seinem Amtsbereich insgesamt etwa 550 Personen von diesem Problem betroffen sind. „Die Haseloffer haben das zuerst gemerkt.“ Doch ihm seien die Hände gebunden. „Kraft meiner Wassersuppe kann ich nichts machen.“ Der Vorwurf der Haseloffer, nicht über den Wegfall ihres Namens informiert worden zu sein, bringt Rockel in die Bredouille. „Von meiner Seite ist nicht unbedingt darauf hingewiesen worden“, sagt er. „Aber es hat auch niemand gefragt“, zieht er sich aus der Affäre.
Die Gebietsreform hat in Brandenburg schon manch seltsame Blüte getrieben. Das Dörfchen Schenkendorf hat im April Klage gegen die Reform eingereicht. Und der wohl bekannteste Schenkendorfer, Graf Dracula, seines Zeichens CDU-Gemeindevertreter, ließ sich zur Wahrung der Eigenständigkeit zum Fürsten ausrufen (die taz berichtete). In Haseloff besteht immerhin die Möglichkeit, im Nachhinein den Ortsteil Grabow in Grabow-Haseloff umzubenennen. Doch das wollen die Haseloffer nicht. Schließlich wohnen sie in Haseloff und nicht in Grabow.
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