: Die Profis der roten Zahlen
aus Berlin WALTRAUD SCHWAB
Was ist der Unterschied zwischen „einstimmig“ und „einmütig“? Die Generalversammlung der taz-Genossenschaft gab die Antwort: Das eine Mal sind alle einer Meinung und das andere Mal eigentlich auch. Falsche Töne sind so nicht zu hören. Denn wider alle taz-historisch bekannten, politisch bedingten und persönlich immer begründbaren Streitereien, blieb es auf der Sitzung zum 10. Geburtstag der taz-Genossenschaft friedlich. Noch besser: Es wurden gelacht. „Das Holzschnittartige ist weg. Das Frontendenken offenbar nicht mehr wichtig“, sagt Michael Vogelsang, Genosse der ersten Stunde.
Dabei gibt es so arg viel gar nicht zu lachen, denn in der Zeitungsbranche macht das Stichwort „Krise“ die Runde. Die Rezession hat den Anzeigenmarkt einbrechen lassen. In der Folge gab es Entlassungen, Seitenkürzungen und Fusionen bei überregionalen Blättern. Oder gar das Aus, wie für Die Woche. Bei der taz ist nicht viel zu kürzen: Die Löhne sind schlecht, die Personaldecke ist dünn und Dienstwagen gab es noch nie.
Die Chefredakteurin der taz, Bascha Mika, und Thomas Roth, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, setzten sich über den möglichen Verlust journalistischer Qualität und Aufklärung in einem Gespräch auseinander. Für Roth sei die taz unverzichtbar, solange sie es schaffe, radikale und originelle Blicke auf das politische und gesellschaftliche Geschehen zu werfen. Im Koordinatensystem der Meinungen habe die Zeitung ihren Platz, solange sie vielfältig bleibt, ohne beliebig zu sein.
Eine Gefahr, die zumindest ein Genossenschaftler und Gründungstazler sieht, der seinen Namen nicht preisgibt. „Die Zeitung ist mir im schlechten Sinne zu pluralistisch geworden“, sagt er. Selbst hat er mittlerweile „die Seiten gewechselt“ und ist Pressesprecher bei einer im linken Spektrum wenig angesehenen Behörde. Utopie und Pragmatik sind eben nicht ohne Reibungsverlust zu verbinden. Dies zeigte sich auch im Streitgespräch zwischen Lothar Bisky (PDS), Daniel Cohn-Bendit (Die Grünen) und Peter Strieder (SPD) sowie drei taz-RedakteurInnen, in dem nach den „verlorenen Visionen der Linken“ gefragt wurde. Für die einen sind sie die Seifenblasen, die in der realpolitischen Wirklichkeit trotzdem aufsteigen. Für die anderen sind sie jene, die darin zerplatzen.
Nach so viel Auftakt die Fakten: Die tageszeitung schreibt für 2001 keinen Gewinn und auch im laufenden Jahr ist nach bisherigem Stand mit roten Zahlen zu rechnen. Im Gegensatz zu anderen Blättern aber hat die taz jahrelange Erfahrung im Umgang mit der Mangelwirtschaft. Dass man damit nun hausieren kann, spricht für ein neues Selbstbewusstsein. Vor zehn Jahren war die Gründung der Genossenschaft ein Ausweg aus der Finanzmisere. Heute steht sie in der Zeitungslandschaft als Erfolgsgeschichte da.
Gegen die Finanzierung durch potente Geldgeber setzte sich 1992 das Genossenschaftsmodell durch. So sollte die Unabhängigkeit der Zeitung gewahrt bleiben. Über 5.200 Einleger gibt es mittlerweile. 200 von ihnen kamen zur Jahresversammlung in den Theaterraum des alten Umspannwerks Ost. Die Einlage ist „eine Spende ohne Spendenbescheinigung“, sagt Elisabeth Paskuy, eine Genossin. Der Gegenwert ist ideell: Eigentlich gehört den Genossenschaftlern die taz, aber sie werden sie niemals besitzen. Zweck der Genossenschaft ist die wirtschaftliche Förderung der tageszeitung. Bis jetzt sind 5,5 Millionen Euro Genossenschaftskapital eingelegt worden. „Die Rendite ist die tägliche taz-Lektüre“, sagt Elisabeth Paskuy. Die Volkswirtschaftlerin weint ihrem Geld nicht nach. „Das Wenigste ist das Kapital der Genossenschaft. 500 Euro pro Anteil. taz-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen bringen das jeden Monat auf, weil sie für minimales Gehalt arbeiten.“ Balsam für die tazler-Seele.
Dennoch bemängelt der Wirtschaftsprüfer des Deutschen Genossenschaftlichen Prüfverbandes e.V., dass neu angeworbene Genossenschaftsmitglieder nicht ausreichend darüber informiert werden, dass sie ihr eingezahltes Kapital kaum zurückbekommen können. „Nur weil die taz Verlust macht, kann man sich nicht vorstellen, dass sie Gewinn macht“, lässt ein Aufsichtsratsmitglied daraufhin verlauten. Pragmatischer Optimismus der Anwesenden? Eher Lebensweisheit, die mit dem Alter kommt, denn die meisten haben bereits graue Schläfen.
Elke Schmitter, Buchautorin, ehemalige taz-Chefredakteurin, legte ihr Mandat als Aufsichträtin nieder. Sie kommt aus einer Zeit, in der in der taz noch viel Porzellan zerschlagen wurde, deshalb hat man ihr zum Abschied ein Set edelster Café-au-lait-Tassen geschenkt – ganz ohne Sprung.
Claudia von Braunmühl, Honorarprofessorin an der Freien Universität, die feministische Theorie und internationale Politik zusammendenkt, wird ihre Nachfolgerin. Ihr Grundsatz: Ich engagiere mich immer ehrenamtlich in drei Organisationen. Als die taz sie fragte, hatte sie gerade „eine Vakanz.“
Auf der Stelle treten gilt nicht bei der taz. Das wäre ihr Niedergang. Auch wirtschaftlich. Derzeit wird nach neuen Beteiligungsmodellen gesucht, die den Einlegern zumindest eine steuerliche Abschreibung der Verluste ermöglichen. Außerdem wollen neue Projekte wie die Lokalausgaben im Ruhrgebiet und in Köln endlich täglich herauskommen können. An Fantasie, Ironie und (neu!) Selbstironie mangelt es den Genossenschaftlern ebenfalls nicht, wenn es ums Geldauftreiben geht. Dazu gehört, dass die Genossenschaft gemeinsam mit der Marketingabteilung nun auch ein Handbuch herausgeben will, wie man eine erfolgreiche Rettungskampagne macht.
Dass die Genossenschaftsversammlung nicht nur Geld-, sondern auch Impulsgeber der Zeitung sein kann, wurde dieses Mal nicht im großen Plenum verhandelt, sondern in den Gesprächen am Rande. Etwas, das nach Meinung einiger auf zukünftigen Genossenschaftsversammlungen stärker gefördert werden sollte. Stellen die Mitglieder doch eine Wissensressource da, die von den Redaktionen viel zu wenig genutzt werde. Wer weiß schon, wer sich hinter den Genossenschaftsmitgliedern verbirgt: Außer Lehrerinnen und Lehrern gibt es PR-Profis und Attac-Beraterinnen. Aber auch Vorstände von Biotechnologieunternehmen, Töchter von führenden Parapsychologen, die heute deren Mitwisserschaft im Dritten Reich untersuchen, und Ingenieure, die Lobbyarbeit für die Genossenschaftsidee in allen gesellschaftlichen Bereichen machen. Wenn am Ende dann Chefredaktion und Aufsichtsrat noch gemeinsam einen Tanzkurs belegen würden, hätte taz-Wirklichkeit und Zeitgeist endlich eine Schnittmenge. Die passende Kapelle, die Standardmusik machte, war zum Abschluss bereits engagiert.
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