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Wechselwirkungen

Die Politikredakteure der „FTD“ ergänzen heute die Wahlempfehlung pro Stoiber ihrer Chefredaktion – und fordern eine zweite Chance für Rot-Grün

von STEFFEN GRIMBERG

Zu „einigen Anmerkungen zur Wahlempfehlung“ sahen sich die Chefredakteure der Financial Times Deutschland am Sonntag nach dem Unions-„Endorsement“ dann doch genötigt: Dass es bei einer Leitartikelkonferenz wie der zur Ermittlung des Pro-Stoiber-Votums („Zeit für einen Wechsel“) nicht zum Konsens komme, sei zwar „nicht der Normalfall“, aber gerade dann „muss die Chefredaktion unter den angebotenen Positionen entscheiden“, schrieben Christoph Keese und Wolfgang Münchau den „lieben Kollegen“ am Sonntagnachmittag.

Doch die wollten das nicht auf sich sitzen lassen: Eine „Pseudodiskussion“ sei da über fast sechs Stunden am vergangenen Freitag geführt worden, um die gestern erschienene, ganzseitige Wahlempfehlung des Blattes zu untermauern, sagt ein Teilnehmer. Auf „höchstem Niveau“ zwar, aber dann eben doch nur „Kasperletheater“: Die Entscheidung der Chefredaktion stand offenbar schon fest, habe die Meinung vieler Diskutanten überhaupt nicht reflektiert– und sei gegen alle politischen Ressortleitungen des Blattes erfolgt.

Diese – Politik & Wirtschaft-Chef Thomas Hanke, sein Vize Thomas Fricke und der Ressortleiter Deutsche Politik/Wirtschaftspolitik Peter Ehrlich wollen nun in der heutigen Ausgabe „einen etwas anderen Blick auf die Sache“ liefern. Nicht mehr ganz so britisch wie in einem anonymen Leitartikel, und schon gar nicht in gleicher Länge. Doch wenn man schon zwischen den anstehenden „zwei Übeln wählen“ müsse, sagt Thomas Fricke, sollte man der „amtierenden Regierung eine Chance geben“. Und zwar nicht als „zweite Wahlempfehlung“ der FTD, sondern um das „Minderheitenvotum“ der Chefredaktion zu „ergänzen“, so Thomas Hanke. Denn gerade auch „aus wirtschaftspolitischer Sicht“ sei die Union nicht unbedingt die „beste Wahl“. – So viel redaktionelles Stehvermögen ist nicht nur bei Wirtschaftszeitungen selten.

Dabei hatte dem halb zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Blatt der damalige Vorstandschef Thomas Middelhoff schon bei der Expo 2000 ein herzliches „Mehr FAZ, weniger taz!“ entgegengerufen. Zum Glück ohne allzu große Wirkung. Die FTD-Chefredaktion besteht zwar weiterhin auf ihrer Sicht der Dinge, klang aber schon in der sonntäglichen Mail ein bisschen nach geordnetem Rückzug: Aus der Debatte wisse man, „dass viele Kollegen diese Position unterstützen“, hieß es da. Und: „Die Chefredaktion ist damit nicht isoliert.“

Vor allem in der Berliner Dependance des Blattes ist die Stimmung weiterhin gemischt – von aufgewühlt bis belustigt reichen die Kommentare. Fair sei in jedem Fall, dass bereits das „Endorsement“ am Montag mit einem Begleittext erscheinen sei, der offen über den fehlenden Konsens in der Redaktion berichtet. „In jedem Interview weisen wir darauf hin, dass es andere Meinungen gegeben hat“, verspricht auch die Chefredaktion – und Interviews gab es reichlich am gestrigen Tage. Dass die ganze Aktion am Ende nur ein unkonventioneller PR-Gag sei, weisen alle Beteiligten so vehemnt wie glaubwürdig von sich: Dazu sitzt die Enttäuschung dann doch bei vielen zu tief.

Vielleicht spendet ja auch der Blick auf die Website der FTD ein wenig Trost: Auf ftd.de gibt es neben der üblichen „Miles and More“-Werbung eine Eigenanzeige von einigem Symbolgehalt: „Machen Sie Ihr Kreuz an der richtigen Stelle“, empfiehlt das Blatt, aufgeführt sind die Bundestagsparteien – ohne die PDS. Grüne und CDU sind schon angekreuzt. Ein virtueller Bleistift markiert dann auch die Felder von FDP und SPD – um sie hernach in dieser Reihenfolge wieder auszuradieren. Schließlich verschwindet auch das Kreuzchen bei der CDU – und ganz zum Schluss erst bei den Grünen.

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