piwik no script img

Die ungleichen Schwestern

Catherine Breillats Filme polarisieren, indem sie das Verhältnis der Geschlechter mit Fragen von Gewalt und Macht kurzschließen – notfalls auch in plumper Zuspitzung wie in „Romance“. Ihr neuester Film, „Meine Schwester“, speist sich aus den Abgründen weiblicher Adoleszenz. Ein Pro und Contra

von ANDREAS BUSCHE und CRISTINA NORD

Pro

Emotionale Schwundzustände sind Catherine Breillats Spezialität. Sie zelebriert sie mit einer anämischen Ritualhaftigkeit bis an die Grenze zur Selbstauflösung. In den klinischen Mann/Frau-Beziehungen ihrer Filme wird dann meistens auch mehr geredet als gevögelt. Trotzdem gibt es viel, fast alles zu sehen. Breillats (pornografische?) Unverblümtheit ist degoutant, in ihrer Geziertheit auf jeden Fall aber höllisch nervend. Man beobachtet die ungelenken zwischenmenschlichen Kommunikationspraktiken (Blicke, Sprache, Sex) in „Romance“ und fühlt sich wie gefangen im dysfunktionalen Resonanzraum handfester Identitätskrisen. Die Rede klingt hier bereits wieder urzuständlich-unschuldig, kennt aber die Frivolität der sexuellen Machtverhältnisse. Breillat treibt das gerne auf die Spitze, und bisher war das immer einigermaßen zum Weglaufen.

Interessant wird die weibliche Position dieser Geschlechterverhältnisse und der Sexualisierung des Diskurses erst durch die Rücküberführung in einen tatsächlichen sexuellen Vorzustand, den es natürlich heute nicht mehr geben kann, weil Erfahrungen, Praktiken und Erkenntnisse inzwischen frei durch die Medien flottieren, alles also schon fühl- und erlebbar gemacht wurde. Eine „unbefleckte“ Pubertät gibt es im Prinzip nicht mehr, allenfalls noch eine pervertierte Vorstellung von Lust. Und anhand dieses adaptierten (Nicht-)Wissens figurieren sich in Breillats Teenagerfilm „Meine Schwester“ Vorstellungen von jugendlicher Selbstverwirklichung, Erwachsensein und gesellschaftlicher Normierung. Die Ritualhaftigkeit ist in diesem Fall sogar doppelt obszön, weil in den Liebes- und Sexritualen wieder nur (scheinbar authentische) Rituale einer Erwachsenenwelt zum Vorschein kommen. Bei den Kindern sieht das allerdings aus wie aus schlechten Soaps abgeguckt.

So komplex sind Breillats Filme bisher selten gewesen. In „Meine Schwester“ hat sich die weibliche Hauptfigur ihrer früheren Filme in ein Schwesternpaar gesplittet, und diese Mehrstimmigkeit verschafft Breillat eine differenzierte Betrachterposition auf ihre weiblichen Figuren – und vor allem: aus ihnen heraus. Denn der Sprechraum, in dem sich Breillats Frauen/Mädchen bewegen, bleibt weiter klein und sein Klang introspektiv.

Viel aufschlussreicher als das etwas ermüdende Bettgeflüster zwischen der 15 Jahre alten Elena, einer frühreifen kleinen Schönheit, und ihrem älteren Liebhaber bleiben in „Meine Schwester“ dann auch die Blicke, die zwischen den Mitgliedern der Familie Pingot ausgetauscht werden. Für die zwei Jahre jüngere Anaïs, das „Fat Girl“ (so der englische Verleihtitel), ist Nahrungsaufnahme eine Form der Kommunikationsverweigerung. Ihre Kilos sind stummer Protest, eine präsexuelle Frustration. Wenn sie also mit Sonnenbrille am Familientisch sitzt und sich voll stopft, ist das gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an ihre Umwelt. In „Meine Schwester“ sind alle Kommunikationskanäle zwischen den Familienmitgliedern verstopft. „Was hat sie denn?“, fragt der Vater seine Frau. „Ach, es ist nur die Adoleszenz.“ – „Na, da kommt sie aber besser schnell drüber hinweg.“ Er hat schließlich nicht das ganze Jahr gearbeitet, um im Urlaub solche Gesichter zu sehen.

In der Konkurrenzsituation der Pingot-Schwestern spiegeln sich die Härten der Sexualität viel feinfühliger wider als noch zum Beispiel in Breillats thematisch ähnlichem Debütfilm „A Very Young Girl“ (1976), ihrer frühen Fingerübung einer unromantischen Lolita-Erzählung. Anaïs bringt eine lakonische Schlauheit in die pubertären Distinktionskämpfe der Mädchen ein, gerade wenn die Rede auf einem rein sexuellen Gesprächslevel hängen bleibt.

Dieser Schlauheit ist allerdings auch eine Diabolik inhärent. Den ganzen Film war sie spürbar in einem unterschwelligen Hang zum Morbiden, unter anderem in den Kinderreimen Anaïs’. Am Ende bricht sie aus dem engen Sprachraum der Mädchen heraus und löscht Sprache und Sinn regelrecht aus. Es ist ein böser Schlussgag, der in Breillats irrationalem Akt von Gewalt steckt, aber er folgt letztlich, trotz seiner unangemessenen Ziellosigkeit und Härte, einer perfiden, kindlichen Logik von Körperpolitik (wieder im „Prä“-Stadium): Über die Vergewaltigung, die „Initiation“, wird, notfalls eben auch durch Aneignung, eine eigene körperliche Ordnung hergestellt, um die zuvor mit der körperlich überlegenen Schwester „spielerisch“ gerungen wurde. Dementsprechend spiegelt sich in Anaïs’ letztem Blick ein trotziges Gefühl von Triumph. ANDREAS BUSCHE

Contra

Ein Mädchen im Pool. Rosa die Haut, hellblau das Wasser, grün der Badeanzug. Es schwimmt zwischen einem Geländer aus Holz und einem aus Metall hin- und her und redet zu den Streben, als wären sie Liebhaber. „Du bist mir nicht böse wegen des anderen?“ – „Du musst wissen: Eine Frau ist kein Stück Seife, sie nutzt sich nicht ab.“ Zuvor hat das Mädchen gesungen: „Nach dem Tod langweile ich mich immer noch, mehr als je zuvor. Wenn ich bloß jemanden finden könnte, Gespenst oder Geist, Frau oder Mann, auch ein Tier wär mir recht.“

In dieser Veschränkung von Unbekümmertheit und Düsternis liegt, was den Reiz von „Meine Schwester“, Catherine Breillats jüngstem Spielfilm, ausmacht und was den vorangegangenen Film, den unter symbolischer Last leidenden „Romance“, weit hinter sich lässt. Das Mädchen, Anaïs mit Namen, ist ein Faszinosum: dick, ungeliebt, der älteren Schwester in deren pubertärem Werben um Aufmerksamkeit hoffnungslos unterlegen. Zugleich ist Anaïs ein Block, an dem die Konformitätszwänge des Erwachsenwerdens abprallen. Unfreiwillig zwar – nichts wäre sie lieber als das hübsche, das nette Mädchen, das sich durch nichts von den anderen unterscheidet. Doch in ihrer Unförmigkeit wird sie zum Bollwerk gegen die Zurichtungen, die da kommen werden. Die Darstellerin, Anaïs Reboux, entwickelt dazu ein schönes Repertoire von Gesten, Blicken und verstockten Sätzen, über die die Ambivalenz der Figur zum Tragen kommt.

Die ältere Schwester, Elena (Roxane Mesquida), gibt sich den Zurichtungen bereitwillig hin: dem Jungen und dessen verführerischer Rede, dem falschen Versprechen, dem roten Kleid, dem Ring, der gegen die Jungfräulichkeit getauscht wird. Elena übt sich in der Aufführung traditioneller Weiblichkeit. Sie macht ihre Sache gut, und sie scheint zu dumm oder zu fatalistisch, um zu bemerken, dass sie als Aufführende nichts davon hat. Wenn Fernando (Libero di Rienzo), der Ferienschwarm, sie zum Sex überredet, lässt der Film keinen Zweifel: Mit Lust hat das für sie nichts zu tun.

Wenn die Mädchen die eigenen Wünsche nicht kennen können, weil sie sich an geborgten Wünschen orientieren oder, schlimmer, weil sich der eigene mit dem geborgten Wunsch ohnehin deckt, dann ist das für den Zuschauer kaum zum Aushalten, aber noch kein stichhaltiger Einwand gegen „Meine Schwester“. Schließlich besteht eine Differenz zwischen dem Zeigen eines Zustands und dessen Bestätigung, und wenn weibliche Adoleszenz mit Dummheit, Stumpfsinn und Entfremdung einhergeht, so tut Breillat nur gut daran, dies in den für sie so charakteristischen langen Einstellungen zu fixieren. Was aber, wenn sie ein bisschen zu viel fixiert? Wenn sie das Geschlechterverhältnis, das – zumal im fiktiven Raum eines Films – längst anders gehandhabt werden kann, immer von neuem mit ihrem differenzfeministischen Besteck zerlegt? Und dabei einen Pessimismus anrichtet, der ihr selbst am besten bekommt?

In „Meine Schwester“ sind die Rollen klar verteilt. Darin deutet sich an, was schon „Romance“ heikel machte: klischierte Oppositionen von männlich und weiblich, von aktiv und devot. Breillat legt fest, wer handelt und wer duldet, wer seine Wünsche kennt und wer nicht. Der Vater weiß, was er will, wenn er verfrüht abreist. Fernando weiß es so gut, dass seine Strategien der Verführung reibungslos funktionieren. Der dritte Mann, der, der in der Schlussvolte aus der Nacht hervortritt, weiß es noch besser. Nicht einen Augenblick zögert er, bevor er zur Tat schreitet. Die weiblichen Figuren halten derweil still. Die Mutter sitzt teilnahmslos am Pool oder am Frühstückstisch, ihr Handlungsspielraum beschränkt sich auf das Anzünden und Auslöschen von Zigaretten. Elenas Spielraum besteht darin, dass sie darüber nachdenkt, ob sie sich überreden lässt oder nicht. Allein Anaïs wehrt sich, indem sie isst. Aber eine Befreiung wird nicht daraus, weil es bei Breillat keine Befreiung und kein Aufbegehren gibt, schon gar kein so düsteres wie etwa in Virginie Despentes und Coralie Trinh This umstrittenem B-Film „Baise moi“. Dort kehren sich die gewalttätigen Verhältnisse um, und die Frauen laufen Amok. Breillat hingegen bleibt den alten Opferrollen treu. Und so sehr sie ihren Film mit einer untergründigen Gewalt speist: Am Ende ist sie doch zu sehr in den Effekt verliebt, als dass sie es bei der Untergründigkeit beließe. CRISTINA NORD

„Meine Schwester“, Regie: Catherine Breillat. Mit Roxane Mesquida, Anaïs Reboux, Arsinée Khanjian u. a., Frankreich/ Italien 2001, 95 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen