: Medienpolitik? Fehlanzeige!
Die Aussagen der Parteien zur gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Rolle der Medien kommen über Platituden nicht hinaus. In der Branche herrscht derweil das größte Chaos seit dem Zweiten Weltkrieg
von STEFFEN GRIMBERG
Die Demokratie braucht freie und unabhängige Medien, die verantwortungsbewusst mit ihrem in der Verfassung garantierten Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit umgehen.
Markige Sätze mit kaum hinreichenden Platituden – wer seine Wahlentscheidung am Sonntag von den medienpolitischen Aussagen der Kandidaten abhängig machen will, sollte sich schleunigst nach anderen Kriterien umsehen: Die Programme der im Bundestag vertretenen Parteien lesen sich in Sachen Medien so uninspiriert, unrealistisch und interessengeleitet, wie hierzulande nun einmal Medienpolitik betrieben wird.
Medien werden immer vielfältiger. Wir begrüßen das als eine große Chance für Information, Bildung, Kultur, Wissenschaft und Unterhaltung. Wir bejahen den Wettbewerb von öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern als Bereicherung einer sich ausweitenden Medienlandschaft.
Dabei hätte besondes ein Stück bajuwarischer Medienpolitik die Chance gehabt, im Wahlkampf eine nicht ganz unwesentliche Rolle zu spielen. Immerhin war der Kandidat Stoiber über die halbstaatliche Bayerische Landesbank oberster Kreditgeber des untergegangenen Medienunternehmers Leo Kirch. Doch keine Frage in „Kanzlerduell“ oder „Kreuzfeuer“, keines der zahlreichen Print-Interviews thematisierte die größte mediale Pleite in der Geschichte der Bundesrepublik. Und nicht einmal die politischen Gegner von rot bis grün wollten offenbar mit der Kirch-Karte stechen.
Bei der Entwicklung neuer Technologien [bewerten wir] grundsätzlich die Chancen höher als die Risiken. Wer nur die Risiken sieht, verhindert Fortschritt. Gesetzliche Überregulierungen sind abzubauen und die Zuständigkeiten für Gesetzgebung und Aufsicht dort, wo es Sinn macht, zu bündeln!
Eigentlich hatte alles ganz vielversprechend angefangen: Die rot-grüne Bundesregierung schuf erstmals den Posten eines Staatsministers für Kultur- und Medienangelegenheiten. Doch Medienpolitik fällt weitestgehend unter die Kulturhoheit der Länder, und so verabschiedete sich der erste Amtsträger Michael Naumann schon bald gelangweilt aus Schröders Kabinett – und ging als Chefredakteur zur Zeit. Sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin (SPD) war von vornherein eher auf dem Kultursektor aktiv. Eine künftige Bundesregierung müsse „sich entscheiden, ob sie diesem Amt wirkliche Komptenzen gibt“, sagt der Medienexperte Lutz Hachmeister – und den Konflikt mit den Ländern wie mit dem eigenen Wirtschaftsminister austragen: „Medienpolitik besteht aus Ökonomie, Publizistik und Kultur“, wer dem nicht Rechnung trage, beibe auf halbem Wege stecken.
Wir wollen ältere Menschen bei der Wissensvermittlung und beim Umgang mit den neuen Medien unterstützen.Wir haben den großen Lauschangriff immer abgelehnt. Deswegen wollen wir die tatsächliche Anwendung zurückdrängen und die Berichtspflichten der Länderbehörden erheblich ausweiten. In Deutschland werden weltweit am meisten Telefone abgehört.
Nun herrscht in der deutschen Medienlandschaft das größte Chaos seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit durchweg negativem Vorzeichen – darüber kann alles Gerede von der „Krise als Chance“ nicht hinwegtäuschen: Derzeit stehen die Hälfte des privaten Free-TV-Oligopols (Kirchs Senderfamile um ProSieben und Sat.1) sowie der gesamte Bereich Pay-TV (Kirchs Premiere) zum Verkauf. Das Fernsehkabel, von dem sich der schuldengeplagte Monopolist Telekom längst hatte trennen sollen, ist zu über 50 Prozent noch immer im Besitz des Staatsunternehmens und wird technisch nicht nachgerüstet. In NRW und Baden-Württemberg, den beiden Regionen, deren Kabelnetz bereits verkauft ist, sind die Konzepte der neuen Betreiber schon wieder gescheitert. Und im Pressemarkt steht die größte Konzentrationswelle seit 30 Jahren bevor.
Für entscheidend halten wir, dass (…) der Einfluss der Medienkonzerne eingeschränkt, die Privatisierung öffentlicher Medien gestoppt und die Mitbestimmung der Beschäftigten durchgesetzt wird. Schritte dazu sind: Demokratisierung der Entscheidungsgremien bei den Medien; Beseitigung der Parteienherrschaft in den öffentlichen Sendeanstalten und die Herstellung einer breiten Öffentlichkeit.
Da hatten Medien- wie Wirtschaftspolitik die Medien- und Kommunikationsbranche als die Leitindustrie des 21. Jahrhunderts mit eingebauter Wachstumsgarantie gefeiert – keine Kleinstadt, die nicht auch irgendwie „Medienstandort“ sein wollte. „Den Parteien ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, intelligentes Personal für diesen Bereich zu gewinnen“, so Hachmeister. Und geht noch ein ganzes Stück weiter: „Die nicht vorhandene Medienpolitik in Deutschland ist verantwortlich für die gesamte gegenwärtige Wirtschaftskrise.“
Die Auszüge aus den Wahlprogrammen stammen in der Reihenfolge ihres Auftretens von a) CDU/CSU, b) SPD, c) FDP, d) B90/Grüne und e) PDS.
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