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Meiser ante portas

Nach 10 Jahren Daily Talk im deutschen Fernsehen hat sich das Format so gut wie totgelaufen.Selbst die wenigen Talk-Institutionen müssen nun Robenträgern und Fachärzten weichen

„Arabella testet deine Liebe“ – Dilettantisch konstruiert und schlecht geschauspielert

von ALEXANDER KÜHN

Wenn der Tampon den Verkehr behindert oder beim Küssen die Schamhaare ausfallen, muss man das im Fernsehen erzählen. Die spannendsten Themen für eine Talkshow finden sich unter der Gürtellinie – wo sonst? Pro 7 macht die Beine jetzt richtig breit – und vertraut sich einem Profi an. In dieser Woche zeichnet der Sender die ersten Folgen von „Dr. Angelika Breitenbach“ auf, die ab 14. Oktober nachmittäglich laufen. Dr. Breitenbach ist das Bindeglied zwischen Menopause und Werbepause: Deutschlands einzige Gynäkologin mit täglicher Talkshow.

Eine Frauenärztin als Talkmasterin – diese Idee ist nur konsequent. Streitfälle geben die Sender seit geraumer Zeit schließlich auch in die Obhut von Richtern. Ergebnis: Die ehrenwerten Robenträger haben den Talkern den Rang abgelaufen. So hat RTL nun nach sieben Jahren „Bärbel Schäfer“ eingestellt und auf dem Sendeplatz eine weitere Gerichtsshow installiert.

Die Sat.1-Richter Salesch und Hold kommen auf fast 2 Millionen Zuschauer – Pro 7s dienstälteste Talkerin Arabella Kiesbauer krebst bei höchstens 700.000 rum. Jüngst geisterte die Meldung durch die Presse, sie wolle nach der zweitausendsten Sendung im Dezember in Ruhestand gehen. Der Sender dementiert und will zunächst die Septemberquote abwarten.

„Arabella“ hat im Juli Thementage eingeführt. Jeden Dienstag kämpft die Moderatorin nun für besonders gebeutelte Zuschauer, freitags präsentiert sie unheimliche Phänomene. Und donnerstags heißt es: „Arabella testet deine Liebe“, vergangene Woche die von Matthias und Vio. Die beiden bekamen auf Video vorgeführt, wie ihr Partner fremdgegangen war – zumindest fast, denn kurz vor der entscheidenden Stelle endete der Film.

Matthias und Vio gaben sich sehr empört und beschlossen, fortan getrennte Wege zu gehen. Minuten später waren die beiden hinter den Kulissen zu sehen. Er fragte sie, ob sie tags darauf noch einmal mit ihm essen gehen wolle. „Nein, morgen nicht“, meinte sie. „Aber übermorgen.“ Die ganze Szene wirkte nicht nur dilettantisch konstruiert, sondern auch schlecht geschauspielert. Arabella Kiesbauer jedoch beharrt: Sie mache „ehrlichen Talk mit echten Gästen“. Anders als die TV-Richter, anders als Frau Kallwass, die auf Sat.1 mit Laiendarstellern die Wirklichkeit nachspielt – oder was sie dafür hält.

Nur talken reicht heute einfach nicht mehr. So bieder wie bei der ersten deutschen Daily Talk kann es nicht mehr zugehen. Vor ziemlich genau zehn Jahren war das, am 14. September 1992. Hans Meiser betrat an jenem Tag sein Kölner Studio, sagte: „Ja, nun sind wir also zum ersten Mal da“ und befragte eine Stunde lang Gäste zum Thema Partneragenturen. Zu Wort kam ein Heiratswilliger, der um mehrere tausend Mark geprellt wurde. Danach stellte Meiser den Chef einer Partnerschaftsagentur zur Rede.

46 Jahre hatte Hans Meiser damals auf dem Buckel und graue Haare auf dem Kopf, und dann war er auch noch ein erfahrener Nachrichtenjournalist – heute schafft es so einer nicht mal mehr in die engere Auswahl für ein Moderatoren-Casting.

Doch „Hans Meiser“ half, das Fernsehen zu revolutionieren. Daily Talk, in den USA bereits in den 30 Jahren im Radio zu verfolgen, war neu. In Deutschland hatte sich das Format bislang nicht etablieren können – Meiser hielt durch bis 2001.

Unbekannte Menschen wurden für wenige Minuten zu Stars; dafür mussten sie einfach nur reden, auch wenn sie oft nichts zu sagen hatten.

Erwachsene Menschen begannen nun, nachmittags fernzusehen – Daily Talks und Daily Soaps veränderten ab 1992 das Fernsehraster der Deutschen. Bislang dachte der fernsehende Mensch in Wochentagen: Freitags kommt der Krimi, donnerstags die Show, samstags geht’s in die Badewanne und am Sonntag in die Kirche. Jetzt duschte man täglich, und der neue Pfarrer hieß Meiser. Zumindest der Süddeutschen Zeitung kam er in seiner ersten Sendung so vor: „Pfarrer Meiser ist sehr souverän. Kühl hört er sich an, was seine Beichtkinder ihm da so erzählen.“ Dass die ARD im Februar 1994 einen echten (evangelischen) Pfarrer ins Rennen schicken würde, konnte die Zeitung nicht ahnen. Auch nicht, wie viele Talkshows über die Republik hereinbrechen sollten.

Der Spiegel, wie immer seiner Zeit voraus, hatte bereits am 22. Dezember 1975 behauptet: „Talkshows überschwemmen die deutschen Kanäle.“ Eine Reihe neuer Talkmaster stieg damals in den Ring, und „Drei nach neun“ sollte fortan in allen dritten Programme. Der Spiegel hatte penibel nachgerechnet: „Für 1976 sind fast 100 Sendungen vorgesehen.“

Die erste deutsche Sendung, die sich Talkshow nannte, war Dietmar Schönherrs „Je später der Abend“. Für den Start dieser besonderen Sendeform hatte die ARD ein besonderes Datum ausgewählt: die Silvesternacht 1973/74. Daily Talk dagegen sollte nie als etwas Besonderes erscheinen. Der damalige RTL-Chef, Helmut Thoma, erklärte zum Start von „Hans Meiser“, diese neue Sendung sei „Alltagsfernsehen“, das zum Leben der kleinen Leute gehöre „wie das Frühstück und die Lokalzeitung neben der Kaffeetasse“.

Nur: Wer legt heute noch Wert auf ein ausgewogenes Frühstück – und wer liest noch Zeitung? Im August befragte TV Today die Deutschen, welche Moderatoren sie auf dem Bildschirm nicht mehr sehen möchten. Auf Platz 1 mit je 29 Prozent: Jürgen Fliege und Arabella.

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