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Rote Karte für Islamisten

Der Ausschluss des Chefs der islamischen AK-Partei, Tayyip Erdogan, von den türkischen Wahlen stößt auf Kritik. Damit dürften die Chancen der Partei jedoch noch steigen

ISTANBUL taz ■ Mit großer Empörung und massiver Kritik wurde in großen Teilen der türkischen Öffentlichkeit der Ausschluss prominenter Politiker von den bevorstehenden Parlamentswahlen aufgenommen. Vor allem die rote Karte für den Vorsitzenden der gemäßigten islamischen AK-Partei, Tayyip Erdogan, wurde in fast allen Medien verurteilt. Erdogan ist nach allen Unfragen der derzeit populärste Politiker des Landes. Neben Erdogan wurden auch noch der traditionelle türkische Islamistenführer Necmettin Erbakan, der Vorsitzende der prokurdischen Hadep, Murat Bozlak, und der bekannte Menschenrechtler Akin Birdal von der Teilnahme an den Wahlen am 3. November ausgeschlossen.

Die zentrale Wahlkommission begründete ihre Entscheidung mit schwebenden Verfahren oder noch nicht abgegoltenen Verurteilungen der Politiker. Alle vier Politiker wurden in der Vergangenheit auf der Grundlage des Strafrechtsparagrafen 312 angeklagt oder bereits verurteilt. Dieser Paragraph der Seperatismus – und religiöse Propaganda unter Strafe stellt, wurde im Frühjahr dieses Jahres zwar reformiert, die Wahlkommission war aber dennoch mehrheitlich der Auffassung, dass die vier Politiker den Regeln des Wahlgesetzes nicht genügen.

Fast alle Kommentatoren halten die juristischen Gründe jedoch nur für vorgeschoben und werfen der Wahlkommission vor, mit der Entscheidung die islamistischen und kurdischen Parteien schwächen zu wollen.

Unter den Militärs und den etablierten Politikern geht tatsächlich die Angst um, dass vor allem die islamisch orientierte AK-Partei die kommenden Wahlen mit großem Vorsprung gewinnen könnte. Während die Regierungsparteien allen Umfragen zufolge Schwierigkeiten haben werden, die in der Türkei geltende Zehnprozenthürde zu überspringen, rangiert Erdogans AK-Partei derzeit bei 25 Prozent. Die großen Zeitungen und Fernsehanstalten berichten übereinstimmend aus der anatolischen Provinz, dass die Bevölkerung von der etablierten Politik völlig frustriert ist und die gemäßigten Islamisten um Erdogan als Retter aus Korruption und wirtschaftlicher Misere ansieht.

Die einzige ernst zu nehmende Konkurrenz für die AK-Partei scheint die Republikanische Volkspartei (CHP) zu sein, der sich auch der Hoffnungsträger der türkischen EU-Befürworter, Kemal Dervis, angeschlossen hat. Nach ersten Stimmungsberichten wird das Verbot für Erdogan die Chancen seiner AK-Partei aber eher erhöhen als beeinträchtigen. Wo immer Reporter nachfragten, hieß es: Jetzt erst recht.

Vor diesem Hintergrund ist von einigen Politikern, denen nun das Aus droht, bereits die Forderung erhoben worden, die Wahlen am besten abzusagen. So hat Mesut Yilmaz angeregt, angesichts des EU-Gipfels im Dezember und dem drohenden Krieg gegen den Irak die Wahlen erst im kommenden Frühjahr durchzuführen. Abgeordnete seiner Mutterlandspartei haben im Parlament bereits damit begonnen, Unterschriften für eine Wahlverschiebung zu sammeln. Dabei hoffen sie auch auf die Unterstützung anderer Abgeordneter, die von ihrer jeweiligen Parteiführung für die kommenden Wahlen nicht wieder nominiert wurden. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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