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Faktor Fischer

Alles was grün fühlt, hat grün gewählt: Denn es galt, Stoiber und eine Politik wie in Hamburg zu verhindern

Irgendwo zwischen Hirn und Herz ist die Entscheidung für die Grünen gefallen. Über 16 Prozent der Hamburger haben grün gewählt – mehr als je zuvor in einem Bundesland. Wo kommen die alle her? „Das ist wegen Fischer, wir könnten doch keinen besseren Außenminister haben“, sagt eine Frau in Ottensen. Und auch einer Eisverkäuferin leuchten die Augen, wenn sie von „unserem Joschka“ spricht. Der soll bleiben. Dass Fischer nicht nur bei Frauen einen Bonus hat, beweist ein Altonaer, dem „Joschka imponiert“.

Aber neben dem Faktor Fischer ist da der Schill-Schock: „Die Leute haben rot-grün gewählt, wegen der schrecklichen Politik hier in Hamburg“, sind sich zwei junge Frauen einig, die sonst immer grün wählen, sich aber bei dieser Bundestagswahl für die SPD entschieden haben, „um auf Nummer sicher zu gehen“. Während sich die Hamburger im vergangenen Jahr mal eine Protestwahl geleistet hätten, „war jetzt wohl vielen klar, dass sie sowas wie die hiesige Regierung nicht auch noch bundesweit haben wollen“.

Völlig klar: „Bei der nächsten Bürgerschaftswahl werden CDU und Schill auf jeden Fall abgelöst. Schade, dass das noch so lange dauert.“ Ein Mann glaubt, dass die Wähler gereift sind, „im vergangenen Jahr waren sie mit der rot-grünen Hamburger Politik nicht hundertprozentig zufrieden und hätten gezeigt: „Wir können auch anders.“ Jetzt hätten sie verstanden, dass das die Sache höchstens schlimmer gemacht habe. Er selbst habe damals wie heute grün gewählt.

Grundlegende Unterschiede zwischen Bund und Land sieht die Eisverkäuferin, die für Fischer schwärmt: „In Hamburg hört man nicht viel von den Grünen. Und Krista Sager finde ich nicht gerade sympathisch.“ Deshalb habe sie bei der Bürgerschaftswahl auch SPD gewählt, jetzt aber „natürlich grün“.

Vielen ging es bei der Wahl um die rot-grüne Koalition. „Erststimme für die SPD, und Zweitstimme für die Grünen, damit die dritte Kraft gestärkt wird“, erklärt eine Frau, die die Grünen schätzt, „weil sie die einzigen sind, die sich um die Umwelt kümmern, und weil sie für eine moderne Politik stehen“.

Für eine junge Mutter, die „immer zwischen grün und PDS wählt“, war es diesmal eine reine Kopf-Wahl: „Es galt, Stoiber zu verhindern.“ Mit Künast möchte sie zwar nicht befreundet sein, „die hat Haare auf den Zähnen“, schätzt sie aber als Ministerin, Claudia Roth hält sie für „total naiv“ und Joschka Fischer: „Naja, die mögen mutieren, aber sie sind immer noch eine Alternative zu denen, die sonst so auf dem Tablett stehen.“

Wer aber von den Grünen wirklich enttäuscht ist, den konnte auch die Aussicht auf Stoiber nicht locken: „Die Grünen haben ihre Ziele verraten“, sagt eine Frau. Ein Mann, der ähnlich fühlt, hat PDS gewählt. Die Grünen, bei denen er mal Mitglied war, die seien ihm zu gutbürgerlich geworden. SANDRA WILSDORF

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