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Zivilcourage teuer bezahlt

Freiheitsstrafen auf Bewährung für zwei HSV-Fans, die auf dem Weg zur AOL-Arena zuerst einen Jugendlichen zusammenschlugen und dann einen Passanten, der eingriff

Zu zweit nehmen sie eine Bank ein, auf der sonst fünf Menschen Platz finden würden. 140 Kilogramm der eine, 110 Kilogramm der andere, dazu der breitbeinige Sitz. Was die Cousins Marcus und Jens R. auf die Anklagebank brachte, war für sie eine „Hauerei“. Zwei andere Menschen hätte die Begegnung das Leben kosten können: Einen Jugendlichen haben die beiden Fußball-Fans in Hamburg zusammengetreten, ein Passant, der sich einmischte, bezahlte das mit mehreren Tagen Krankenhaus. Das Amtsgericht Altona verurteilte die Cousins aus Leer dafür gestern zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zwei, beziehungsweise drei Monaten. Auf Bewährung, weil es ihre erste Tat ist.

Die beiden sind HSV-Fans, Dauerkarte. Der klassische Fußballbesuch: Morgens geht es mit dem Bus los in Leer, im Gepäck Jägermeister. Die Flaschen sind leer, ehe auf dem Spielfeld der Anpfiff erfolgt. Am 30. März dieses Jahres ist das gegen 14 Uhr der Fall. Auf dem Weg zur AOL-Arena dann eine kleine Rempelei. Jens R. stößt mit einem Jugendlichen, etwa 15 Jahre alt, zusammen. Der fragt: „Was soll das, du fetter Sack?“ Jens R. sagt vor Gericht, dass daraufhin „meine Hand in sein Gesicht geraten ist“. Der Jugendliche fällt zu Boden, liegt dort blutüberströmt, Jens R. tritt weiter auf ihn ein. Ins Gesicht. Mit Springerstiefeln. Passanten hätten „rumgemeckert“, sagt Marcus R. Was er daraufhin tat? „Ich habe zurückgemeckert.“

Auch der 34-jährige Markus Weber kommt mit seinem Vater an der Szene vorbei. Der Vater ruft entsetzt „Die treten ihn tot!“, und Weber handelt. Er will eingreifen, ruft den Schlägern etwas zu und lenkt damit deren Aufmerksamkeit auf sich. Den Jungen hat er damit gerettet, er kann fliehen und bleibt unbekannt. Weber aber wird die nächsten Tage im Krankenhaus verbringen: Prellungen im Gesicht, aufgeplatzte Lippe, rausgebrochener Zahn, Verletzungen am Ohr, Hinterkopf, Ellenbogen.

„Unter großen Bedenken“ setzt das Gericht die Strafen zur Bewährung aus. Die Angeklagten seien alkoholbedingt „enthemmt“, nicht aber bis zur Schuldunfähigkeit betrunken gewesen. Sie hätten keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt und hätten Glück gehabt, nicht vor dem Landgericht zu sitzen, wo Totschlagsdelikte verhandelt werden: „Dann wären die Strafen anders ausgefallen.“

ELKE SPANNER

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