Blair in Bombenstimmung

Britische Regierung legt Dossier vor: Irak könnte in wenigen Jahren Atombomben besitzen, B- und C-Waffen seien sofort einsetzbar. Bedrohung sei ernst und akut. Schröder sucht Gespräch mit Blair

LONDON/BERLIN dpa/ap/taz ■ Der britische Premierminister Tony Blair hat gestern ein 55-seitiges Dossier vorgelegt, mit dem belegt werden soll, dass der Irak weiter an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen arbeitet. Innerhalb von 45 Minuten könne der Irak demnach chemische und biologische Waffen einsetzen, heißt es. Nach Urankäufen in Afrika sei zu erwarten, dass Saddam „innerhalb von zwei Jahren“ im Besitz einer Atombombe sein könnte. Vor neuen Waffeninspektionen der UN werde er versuchen, Teile seines Arsenals „zu verstecken“.

Laut Blair gibt es nur eine Schlussfolgerung: „Wir müssen sicherstellen, dass er (Saddam) die Waffen, die er hat, nicht benutzt und die Waffen, die er will, nicht bekommt.“ Der Irak wies das Dossier als „Lügenkampagne“ zurück.

Das Dossier bildete den Hintergrund zu einer Sondersitzung des britischen Unterhauses über Blairs Irakpolitik. Während die konservative Opposition Blairs Kurs begrüßte, taten Kritiker von den oppositionellen Liberaldemokraten sowie aus der regierenden Labour-Partei das Dossier zum Teil als „PR-Trick“ ab. Das meiste sei schon bekannt gewesen. Auch einige Verteidigungsexperten äußerten sich in dieser Richtung, während der Autor einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Studie des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) darin Neues zu entdecken glaubte.

Die deutsche Reaktion auf den britischen Vorstoß blieb zunächst verhalten. Während der stellvertretende SPD-Fraktionschef, Gernot Erler, erklärte, die SPD bleibe bei ihrer Ablehnung eines Irakkrieges, gab die Bundesregierung zu Protokoll, sie wolle das Dossier sorgfältig prüfen. Gestern Abend wollte Bundeskanzler Gerhard Schröder in London mit Tony Blair über das Thema sprechen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Bundesregierung erhofft sich, durch demonstrative Freundschaft mit Großbritannien auch eine Wiederannäherung an die USA zu erleichtern.

Am UN-Sitz in New York rechneten westliche Diplomaten damit, dass sich der Weltsicherheitsrat noch gestern informell mit dem von den Vereinigten Staaten und Großbritannien vorbereiteten Entwurf für eine neue Irakresolution befassen würde. Die Resolution soll vor der Zusammenkunft des UN-Chefinspekteurs Hans Blix mit den irakischen Vertretern am kommenden Montag in Wien verabschiedet werden.

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