: Nüchternheit setzt sich durch
SPD, PDS und Grüne wollen zwar heute im Parlament den Nazi-Vergleich von CDU-Chef Stölzl rügen. Die klaren Rücktrittsforderungen vom Montag sind jedoch vom Tisch
Christoph Stölzl, CDU-Chef und Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, muss sich heute im Parlament weitere kritische Worte für seinen inzwischen zurückgenommenen Nazi-Vergleich anhören. SPD, PDS und Grüne wollen dazu eine Entschließung verabschieden. Deren Formulierung ist jedoch im Vergleich zu ersten Rücktrittsforderungen entschärft. „Demokratische Entscheidungen müssen respektiert werden“, lautete gestern der Arbeitstitel. Am Montag las sich das vor allem bei der SPD noch anders. Da forderte Landesparteichef Peter Strieder von Stölzl, sich aus der Politik zurückzuziehen, da sah Fraktionschef Müller den CDU-Mann ohne Verstand.
Nach Angaben der PDS-Fraktion spricht der Entwurf der Entschließung von einer Verunglimpfung von Wählern. Weiter hieß es darin gestern: „Wer demokratische Entscheidungen als Sieg der Unvernunft über die Vernunft bezeichnet, stellt seine Eignung für die Repräsentation eines demokratisch gewählten Parlaments in Frage.“ Von Rücktritt war keine Rede mehr.
Stölzl hatte den rot-grünen Wahlerfolg als „Sieg der Unvernunft über die Vernunft“ bezeichnet. „Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propagandaphrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutschwahlen von 1931/32 war so“, sagte Stölzl. Er hoffe sehr, dass sich Nüchterheit wieder durchsetze.
Die Fraktionen von SPD und PDS hatten ihn darauf aufgefordert, als Parlamentsvize zurückzutreten. Die Grünen verlangten den Rückzug nur für den Fall, dass er sich nicht glaubhaft entschuldige. Auch CDU-Spitzen gingen auf Distanz. „Völlig inakzeptabel“, urteilte Bundeschefin Angela Merkel, Fraktionschef Frank Steffel sprach von „historisch abwegig“. Die FDP nannte die Äußerung „misslungen“. Ihr Fraktionschef Martin Lindner sah jedoch für einen Rücktritt keinen Grund, weil sich Stölzl als CDU-Parteichef geäußert habe.
Stölzl sprach von einer böswilligen Interpretation. „Den mir unterstellten Vergleich habe ich nicht gezogen. Sollte ich mich wirklich missverständlich ausgedrückt haben, dann tut es mir selbstverständlich Leid“, schrieb er in einer ersten Erklärung. SPD, PDS und Grüne sahen darin keine Entschuldigung. Landesvorstand und Fraktion der CDU hingegen stellte sich hinter ihn. Im Ältestenrat des Parlaments ergänzte Stölzl am Dienstag, es sei nicht seine Absicht gewesen, „irgendwelche Vergleiche heutiger politischer Kräfte mit historischen Parteien nahe zu legen“. Er entschuldige sich bei denen, die verletzt wurden.
Bei Sozialdemokraten, PDS und Grünen war gestern zu erkennen, dass ihnen nicht an einer dauerhaften Konfrontation mit Stölzl liegt. Eine Abwahl des Vizepräsidenten ist laut Landesverfassung nicht möglich. Einschlägiges Beispiel ist der frühere Präsident Herwig Haase (CDU) aus der Zeit der großen Koalition. Als eine Parlamentsmehrheit aus SPD, PDS und Grünen 1997 für seinen Rücktritt stimmte, konnte Haase dieses Votum ignorieren und blieb im Amt.
STEFAN ALBERTI
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