: Die Kunst über den Autos
Das Gebäude ringt erfolgreich mit der Schwerkraft, die Sammlung leidet daran, dass die Werke zu wenig Platz für sich haben. In Turin wurde die „Pinacoteca Giovanni e Marella Agnelli“ eingeweiht
von STEFAN KOLDEHOFF
Es müssen goldene Zeiten gewesen sein, in den Sixties: Eine Hand voll reicher Männer, die Schläfen schon ein wenig ergraut, wollte wissen, wer von ihnen der Größte sei. Sie maßen sich mit schnellen Schiffen, schönen Frauen und mit Kunst, gekauft bei Beyeler in Basel, bei Wildenstein und Knoedler in Paris. Die griechischen Reeder Aristoteles Onassis, Basil Goulandris und Stavros Niarchos sind lange tot, übrig geblieben ist der vierte Mitspieler von damals: Giovanni „Gianni“ Agnelli, Mister Fiat, 80 Jahre alt und in Italien hofiert wie ein König. Um Agnellis Kunstsammlung ranken sich Legenden. Eines der letzten Dürer-Gemälde in Privatbesitz traute ihm ein Journalist einst zu, und als sich das Metropolitan Museum of Art Mitte der 70er-Jahre von einer kapitalen Van-Gogh-Landschaft trennte, galt Agnelli als Käufer.
Öffentlich zu sehen war die sagenumwobene Agnelli-Sammlung nie – weder im Fiat-eigenen Palazzo Grassi in Venedig noch in einem anderen Museum. Entsprechend elektrisiert reagierte die Kunstwelt, als der Sammler vor nicht allzu langer Zeit ankündigte, er werde Teile seines Kunstbesitzes der Stadt Turin zur Verfügung stellen. Stararchitekt Renzo Piano, der vor fünf Jahren bereits die legendäre, 1927 erbaute ehemalige Fiat-Fabrik „Lingotto“ im Süden der Stadt zum Kongress-, Einkaufs- und Kulturzentrum umgebaut hatte, wurde beauftragt, dafür eine „Pinacoteca“ zu entwerfen.
Am vergangenen Wochenende folgte der Spannung die Ernüchterung. Hunderte von Journalisten hatte Fiat ins Piemont eingeladen, um das neue Museum der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sie wurden aufs Dach des 500 Meter langen Gebäuderiegels gebeten. Dort befindet sich bis heute die legendäre runde Rennstrecke, auf der die Ingenieure die Autos testeten, die bis 1983 in den Produktionsstraßen der darunter liegenden Etagen gebaut wurden. Auf einen Querflügel der ehemaligen Fabrik hat Renzo Piano gesetzt, was er selbst den „fliegenden Teppich“ nennt: einen auf vier Trägern ruhenden, silbrig-grau glänzenden, trapezförmigen, fensterlosen Container von eher bescheidenen Ausmaßen. Auf seinem Glasdach liegt flach auf, was von fern wie ein gigantischer Lamellenrost aussieht und weit über den Container hinaus auskragt: „Diese Dachkonstruktion hält die Sonnenstrahlen auf und vermeidet im Innern harte Schatten“, beschreibt der Architekt das Prinzip, das er erfolgreich beim Bau der Foundation Beyeler in Riehen bei Basel und des Kunstmuseums in Houston eingesetzt hat. Vielleicht sei es die Aufgabe eines Architekten, sein ganzes Leben lang gegen die Schwerkraft zu kämpfen, fügt er später hinzu. Auf dem Dach des Lingotto kommt er dem Himmel jedenfalls nahe.
Enttäuschend ist denn auch nicht der elegante Aufbau, der Pianos Architektur der zurückhaltenden Intervention entspricht, sondern dessen Inhalt: Was als großzügige Schenkung an die Autostadt Turin angekündigt wurde, reduziert sich tatsächlich auf gerade einmal 23 Gemälde und zwei Skulpturen. Präsentiert werden sie im Inneren der Ausstellungshalle auf den Vorder- und Rückseiten von fünf Trennwänden, die den Raum in sechs Kabinette teilen. Der Platz reicht für ein sinnvolles didaktisches Konzept nicht aus: Während die sechs gigantischen Venedig-Veduten von Canaletto und die Dresden-Ansichten von Bellotto jeweils wandfüllende Formate haben, müssen sich vier Matisse-Gemälde in Petersburger Hängung nebeneinander quetschen lassen. Den Abschluss des Parcours bilden drei Werke, die nichts als ihr Thema verbindet: Ein Frauenakt von Renoir, einer von Modigliani und eine spärlich bekleidete schwarze Frau, die Edouard Manet malte, zeigen die ganze Hilflosigkeit der Hängung.
Eines der Hauptwerke der Sammlung, Giacomo Ballas futuristisches Bekenntnis „Velocità astratta“ von 1913, verliert sich über der Treppe, die den Ausstellungsraum in der Mitte erschließt. Statt es an einer Wand anzubringen, hätte man das Gemälde in der Mitte eines Raumes aufstellen sollen. Denn nur so wäre auch die Rückseite sichtbar geblieben, auf der Balla Anfang der 30er-Jahre Mussolinis Marsch auf Rom festhielt. Die Leinwand dokumentiert auf diese Weise die Kehrseite der kritiklosen Fortschrittsgläubigkeit der futuristischen Bewegung, die schließlich in die Unterstützung des Faschismus führte.
Großzügig ist Agnellis Geste, sich von 25 Werken dauerhaft zu trennen, allemal. Ein Agnelli-Museum, wie ursprünglich einmal angekündigt, ist in Turin aber nicht entstanden – weder auf dem Dach noch in den darunter liegenden vier Stockwerken, die 2.800 Quadratmeter Fläche für Wechselausstellungen bieten. Gianni Agnelli und seine Frau Marella haben 25 Werke aus Privatbesitz in eine von ihnen kontrollierte Stiftung überführt, die den beiden Sammlern eigenem Bekunden zufolge besonders am Herzen liegen. Den größeren Teil ihrer Sammlung aber – darunter Werke von Balthus, Warhol, Rauschenberg und Gauguin – behalten sie auch weiterhin in ihren Häusern und Wohnungen in St. Moritz und Paris, im Piemont und in New York. So zu handeln ist das gute Recht jedes Sammlers. Eine Teilstiftung als Museumsgründung zu verkaufen, zeugt allerdings nicht unbedingt von souveränem Umgang mit der Öffentlichkeit.
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