: Giftliste folgen giftige Töne
Bildungsdebatte im Abgeordnetenhaus: Die PDS profiliert sich gegenüber der SPD, Schulsenator Böger gegenüber seinem Finanzkollegen Sarrazin. Die Grünen wollen eine Schulreform mittragen
von SABINE AM ORDE
Nach dem Wahldebakel am vergangenen Sonntag will sich die PDS in der rot-roten Landesregierung stärker profilieren. Siglinde Schaub, die schulpolitische Sprecherin, versuchte dazu gestern einen ersten Schritt. Im Abgeordnetenhaus, wo bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Debatte zum Thema „Priorität für Bildung“ auf der Tagesordnung stand, thematisierte sie nicht – wie dort üblich – kleinteilig die Berliner Verhältnisse.
Stattdessen forderte sie, als Ergebnis der Pisa-Studie, „eine ganz neue Bildungskultur“: „Wir brauchen eine Erfolgsschule statt einer Schule des vorprogrammierten Scheiterns“, rief die PDS-Politikerin, die immer wieder wegen zahlreicher Zwischenrufe von den Hinterbänken der CDU-Fraktion kaum zu hören war. „Wir brauchen weniger Auslese und weniger Sitzenbleiben.“
Dass Schaubs Rede so gut rüberkam, lag auch an ihrer Kollegin von der SPD, Felicitas Tesch. Diese spulte lediglich Altbekanntes ab – das, was Rot-Rot an Verbesserungen plant: die 1.040 Lehrerstellen, die für pädagogische Verbesserung eingesetzt werden sollen, die 30 neuen Ganztagsgrundschulen bis 2006 und die flächendeckende Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule. Ob sich Schaub mit ihren Vorstellungen gegen die SPD durchsetzen kann, ist allerdings mehr als fraglich (siehe unten).
Profilieren wollte sich auch Schulsenator Klaus Böger. Nicht gegenüber dem Koalitionspartner, dazu lässt sich der Sozialdemokrat nicht herab. Wohl aber gegenüber seinem Kollegen aus dem Finanzressort, Thilo Sarrazin (SPD). Dieser hatte gerade mit einer Giftliste, die auch dramatische Kürzungen bei den Kindertagesstätten vorsah, den Schulsenator verärgert. Gleich zu Beginn seiner Rede betonte Böger, dass die dringend notwendigen Bildungsreformen nur dann greifen können, wenn eines sichergestellt sei: „Verlässliche und stabile Rahmenbedingungen.“ Dazu gehöre die ausreichende Ausstattung mit Personal, die Versorgung mit Lern- und Lehrmitteln sowie „ein Zustand von Gebäuden, der es zulässt, dass aus einer Schule ein Haus des Lernens wird“. Wichtiger aber noch sei, so Böger weiter, was in den Köpfen passiert. Die Berliner Antwort auf die Pisa-Studie sei ein 7-Punkte-Aktionsprogramm: Ziel seien eine qualitativ bessere Vorschul- und Grundschulbildung, mehr Ganztagsschulen, die systematische Förderung schwacher Schüler und eine höhere Qualität der gymnasialen Oberstufe. Zudem sollen Schulen mehr Eigenverantwortung erhalten und die Lehrerbildung qualifiziert werden.
Und die Opposition? Die warf Rot-Rot vor allem Untätigkeit vor und eine verfehlte Bildungspolitik. Die Berliner Schule leide unter Mangel, kritisierte Uwe Goetze (CDU). Die Gebäude seien meist marode, die Pädagogen überaltert, die Klassen oft überfüllt. FDP-Bildungsexpertin Mike Senftleben bezeichnete die um drei Monate verkürzte Schuldauer für Abiturienten als „Lachnummer“. Die rot-rote Koalition hätte für eine Schulreform die Unterstützung seiner Partei, betonte Özcan Mutlu (Grüne). Doch noch habe sich nichts getan.
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