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Ein leiser Rückzug

Man hatte es geahnt, sie oft wegen ihrer mangelnden Öffentlichkeitsarbeit kritisiert und bedauert es nun doch: Frauenministerin Christine Bergmann verabschiedet sich

BERLIN taz ■ Der Frauenrat fing sich sofort: Noch vor der Stellungnahme zum Amtsverzicht von Frauenministerin Christine Bergmann schickte der Dachverband seine Arbeitsaufträge an eine neue Regierung. Unter anderem wird dort gefordert, mindestens 30 Prozent der politischen Ämter mit Frauen zu besetzen. Dennoch ging es dem Dachverband wie allen anderen. Man hatte es geahnt und gemunkelt, aber etwas betreten ist man doch. Es sei „eine Frage persönlicher Lebensplanung“, gab Bergmann als Grund für den Rückzug an. Die Entscheidung, nicht für eine neue Legislaturperiode zur Verfügung zu stehen, habe sie „schon länger“ getroffen. Hm.

Da hätte man noch ein paar Nachfragen. Aber die Ministerin auf Abruf, die sich in Zukunft vor allem um das Ostforum der SPD kümmern will, gibt keine Stellungnahme mehr ab. Man würde etwa gerne fragen, ob sie weitergemacht hätte, wenn das Kanzleramt sich etwas weniger bemüht hätte, ihr das Leben schwer zu machen. Stichwort Gedöns, Stichwort Gleichstellungsgesetz. Oder ob Herr Schröder eigentlich weiß, wie man den Namen Bergmann ausspricht.

Dass Bergmann allgemein unterschätzt wurde, liegt aber nicht nur am Kanzler oder am Politikfeld des „Konsonantenministeriums“, in dem man nur langsam an der schwerfälligen Gesellschaftspolitik herumdrehen kann. Da hat Christine Bergmann ein bemerkenswertes Pensum erledigt. Sie hat Väter zum Erziehen aufgefordert, die mehr als hartleibigen Wirtschaftsverbände auf das kommende Gleichstellungsgesetz vorbereitet, das Gewaltschutzgesetz, ein feministisches Wunschprojekt, durchgebracht. „Sie hat Projekte auf den Weg gebracht, davon haben wir nur träumen können“, bescheinigt ihr auch die frauenpolitische Weggefährtin aus der Fraktion, Christel Humme.

Die mediengerechte Aufbereitung war weniger ihre Sache. Christine Bergmann ist von Haus aus Apothekerin. Sie mixte die richtigen Rezepte und empfahl sie allen, die über frauenpolitische Schmerzen klagten. Eine Verkäuferin ist sie nie gewesen. In der Handhabung ihrer Pressearbeit sogar manchmal genau das Gegenteil. Neu geschrieben bekam man die Interviews zurück, leise seufzend über die Presseerklärung, in die sich das Gespräch verwandelt hatte. Unvergessen auch der Hinweis, die angeforderte Broschüre, die das Referat Öffentlichkeit gerne schicke, sei „nur für den Hintergrund“ gedacht – eine Formulierung, mit der man verabredet, dass nicht zitiert werden darf.

Sei’s drum. „Christine Bergmann hat der Frauenpolitik wieder Schwung gegeben, auch wenn Talkshows und Schlagzeilen dies übersehen haben“, sagt die Vorsitzende des Frauenrats, Inge von Bönninghausen. Sie war die beste Frauenministerin, die das Land je hatte. Ihr Erbe ist unter anderem ihr Lieblingsrezept: Die Kinderbetreuung steht als eines der ersten Themen auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen.

HEIDE OESTREICH

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