: Grüne täuschen und tarnen
Der Wechsel an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion ist weniger klar, als es der Abschiedsbrief von Kerstin Müller und Rezzo Schlauch nahe legt. Schlauchs Rückzug ist nicht freiwillig. Und die Wahl des Duos Sager und Göring-Eckardt ist offen
von CHRISTIAN FÜLLER und JENS KÖNIG
Kerstin Müller und Rezzo Schlauch, bislang an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion, wollten sich „neuen Aufgaben und Themen zuwenden“. Diese Version über den Rückzug der beiden FraktionssprecherInnen war ihrem gestrigen Abschiedsbrief zu entnehmen. Für Rezzo Schlauch stimmt die Geschichte aber nur halb.
Schlauch war bereit, um sein Amt als Fraktionschef zu kämpfen. Am Sonntagabend war ihm nach taz-Informationen vom Geheimen Vorsitzenden Joschka Fischer eröffnet worden, dass Parteichef Fritz Kuhn sein, Schlauchs, Amt übernehmen werde. Damit war Schlauch zunächst aus dem Rennen um den Fraktionsvorsitz.
Dann aber musste Parteichef Kuhn seinerseits auf den persönlichen Traumjob an der Fraktionsspitze verzichten. Aus der Partei heraus war der Grünen-Führung nämlich signalisiert worden, dass Kuhns Ambitionen in der Fraktion das Ende der Trennung von Amt und Mandat gefährden würde. Die Partei will in drei Wochen in Bremen auf einer Bundesdelegiertenkonferenz das uralte grüne Prinzip kippen, wonach die Ausübung eines Parteiamts mit einem Parlamentssitz unvereinbar ist. Diese Satzungsbereinigung hätte aber nur dann eine Chance, hieß es, wenn die allgemein anerkannten ParteichefInnen Fritz Kuhn und Claudia Roth sich erneut als Doppelspitze für den Parteivorsitz bewürben. Partei- und Fraktionsvorsitz in einem hätte Kuhn aber selbst nach einer Satzungsänderung nicht einnehmen können.
In diesem Moment hatte Rezzo Schlauch wieder Hoffnung geschöpft – und vor der neuen Fraktion seine Kandidatur aufrechtgehalten. Nach einem erneuten Gespräch mit dem Spitzenteam um Fischer musste er jedoch definitiv zurückziehen. Nach der Bonusmeilen-Affäre sei Schlauch in der Fraktion nicht mehr mehrheitsfähig. Der 54-jährige war auch parteiintern in Verruf geraten, weil er mit dienstlich erworbenen Bonusmeilen einen exklusiven Privatflug nach Bangkok unternahm. Schlauch, der zuvor als Berater des ebenfalls auf Bonusmeilen fliegenden Cem Özdemir auftrat, versuchte seine Verfehlung zunächst zu unterschlagen.
Die Manöver um die Nachfolge Rezzo Schlauchs gestalteten sich gestern nachmittag nicht weniger verwickelt. Als gesetzt für die Berliner Fraktionsspitze ist offenbar bereits seit einigen Tagen Hamburgs grüne Fraktionschefin, Krista Sager. Dazu gesellte sich dann scheinbar gut abgesprochen Katrin Göring-Eckardt, die bisherige parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. Als Volker Beck bekannt gab, er würde gerne die Nachfolge Göring-Eckardts antreten, erschien es, als sei die Wahl des Trios nur eine Formsache – dem ist aber nicht so.
Göring-Eckardt lancierte zwar ein bei den Grünen unschlagbares Motiv für ihre Bewerbung: Es gebe mehr Frauen in der grünen Fraktion als Männer, 32:23 steht es da, so dass eine weibliche Doppelspitze nur angemessen sei. Das prima Argument war freilich Politik – die von oben abgesegnete Absprache über ein West-Ost-Duo Sager/Göring-Eckardt an der Spitze der Fraktion ist nicht unumstößlich.
Vielmehr rechnen sich Werner Schulz und Reinhard Loske nach wie vor Chancen aus. Jedenfalls sind sie entschlossen, für den Vorsitz in der Fraktion zu kandidieren. So könnte es etwa zu einer Kampfabstimmung kommen: Zwischen der 36-jährigen Ostkandidatin Göring-Eckardt und dem 52-jährigen Ostbewerber Schulz.
„Den frühen Vogel frisst die Katze“ – diese Mahnung von Joschka Fischer stammt aus der grünen Fraktionssitzung Anfang der Woche. Klar ist, was der Übervater damit meinte: Keine frühen Selbstbewerbungen! Unklar blieb, wen Fischer damit meinte.
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