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Ein Recht auf Staatspleite

Der IWF setzt sich erstmals für ein seit Jahren gefordertes Insolvenzrecht für Staaten ein. Mit vielen Sicherheiten für die Gläubiger, versteht sich

von KATHARINA KOUFEN

Man stelle sich vor: Das bankrotte Land Argentinien hat beim IWF einen Insolvenzantrag gestellt. Der Fonds ordnet daraufhin an, alle Zins- und Tilgungszahlungen sofort zu stoppen. Argentinien und die anderen 183 Mitglieder berufen gemeinsam ein Schiedsgericht aus „zehn bis elf unabhängigen und qualifizierten Persönlichkeiten“ ein. Die legen die Tragfähigkeit der Schulden fest. Wie viel kann das Land an Zinsen und Tilgungsraten verkraften, ohne die Versorgung seiner Leute zu gefährden?

Argentinien wird aufgefordert, Sanierungsvorschläge zu machen. Später dürfen die Betroffenen zu den Vorschlägen Stellung nehmen. Ärzte erklären, welche Folgen die Sparpläne für Krankenhäuser haben, Lehrerinnen sprechen von geschlossenen Schulen. Das Insolvenzgericht hört die Einwände und gibt den Betroffenen Recht. Es entscheidet, dass sämtliche Gläubiger vorerst auf ihre Forderungen verzichten müssen. Später würden die zumutbaren Rückzahlungen auf die Gläubiger verteilt.

Zukunftsmusik? Zumindest die ersten Klänge dürften bald zu hören sein. Denn der Internationale Währungsfonds (IWF) will auf seiner Herbsttagung über ein Insolvenzrecht für Staaten beraten. Zur Debatte steht ein Dreisäulenmodell. Das soll Pleiten regeln und, besser noch, verhindern. Säule eins bildet ein rechtlich geregeltes Insolvenzverfahren. Säule zwei besteht aus den so genannten Mehrheitsklauseln: Wer ausländische Staatspapiere kauft, unterschreibt bereits beim Kauf, dass er sich im Falle einer Insolvenz des Staates nicht gegen Umschuldungen stellt – sprich: bereit ist, auf einen Teil der Forderungen zu verzichten.

Drittens soll der Zugang zu IWF-Krediten erschwert werden. Die, so zeigte sich erst jüngst wieder in Argentinien, schaden mehr als dass sie helfen. Denn sie wiegen die Anleger in einer falschen Sicherheit. Folglich investieren die weiter fleißig in „Hochzinsländer“ wie Argentinien – und treiben das Land anschließend in den Ruin, wenn sie ihr Kapital bei den ersten Anzeichen einer Krise über die Grenze schaffen. „Wir wollen den Privatsektor endlich stärker einbeziehen“, erklärte in Berlin der deutsche Staatssekretär im Finanzministerium, Caio Koch-Weser, vor seinem Abflug nach Washington.

Doch der Teufel steckt im Detail: Der IWF-Vorschlag sieht vor, das Insolvenzrecht für Staaten ähnlich wie das US-Insolvenzrecht für Unternehmen zu gestalten, das „Kapitel elf“. Experten von Nichtregierungsseite (NGOs) fordern hingegen, sich am amerikanischen „Kapitel neun“-Verfahren für bankrotte Kommunen zu orientieren. Der Unterschied: Nach Kapitel elf haben die Betroffenen kein Recht, angehört zu werden, wie das im oben beschriebenen Beispiel nach Kapitel neun der Fall wäre. „Kapitel elf ist viel zu stark auf Gläubigerschutz ausgerichtet“, kritisiert der Wiener Schuldenexperte und Wirtschaftsprofessor Kunibert Raffa.

Streit gibt es auch darum, wer als Insolvenzrichter in Frage käme. Anne Krueger, Vizechefin im IWF, hatte zunächst den Fonds selbst vorgeschlagen. Daraufhin hagelte es Proteste, sowohl von NGO-Seite als auch aus der US-Regierung. Raffa: „Der Fonds kann keinesfalls gleichzeitig Gläubiger und Richter sein.“ Auf Druck von US-Finanzminister Paul O’Neill soll die IWF-Vizechefin eingelenkt haben. Nun heißt es aus der IWF-Pressestelle: „Frau Krueger ist für ein Schiedsgericht mit neutralen Richtern. “ Diese würden, so lautet der aktuelle Vorschlag, ad hoc von allen IWF-Mitgliedstaaten gemeinsam benannt. Allerdings behält sich das von den USA dominierte IWF-Exekutivdirektorium ein Vetorecht vor. Als Schiedsrichter in Frage kommt „eigentlich jeder“, so Raffa. „Chile und Argentinien haben in anderen Streitigkeiten auch schon mal den Papst oder den spanischen König als Schiedsrichter berufen.“

Trotz des Streits um Details wird es ein besonderes Treffen an diesem Wochenende: Der Fonds und seine Kritiker aus den Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen wollen ihre Stimme ausnahmsweise gemeinsam erheben. Hat im Fonds ein Richtungswechsel stattgefunden? Gewinnen die Forderungen von NGOs wie der Erlassjahrkampagne, die seit Jahren ein Insolvenzrecht fordern, an Einfluss? „Dass der IWF sich für ein Insolvenzrecht einsetzt, ist schon bemerkenswert“, meint Erlassjahr-Mitarbeiter Pedro Morazán. Halten doch im IWF die Gläubigerstaaten den Löwenanteil der Stimmen.

„Erstaunlich“ sei auch das schnelle Einlenken des deutschen Finanzministeriums. Dort verspottete ein Mitarbeiter der Pressestelle die Idee eines Insolvenzrechts gegenüber der taz noch vor einem Jahr als „utopisch“. Und Entwicklungsminsterin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die keine Gelegenheit auslässt, für ein Insolvenzrecht zu plädieren, wurde bestenfalls belächelt. Nun, im Vorfeld der Tagung, ließ Caio Koch-Weser wissen: „Wir drängen auf Entscheidung bis nächstes Frühjahr.“

Doch dass NGOs und Fonds an einem Strang ziehen, ist Zufall. Jene fordern ein Insolvenzrecht, damit bankrotte Länder wie Argentinien vor den Ansprüchen der Gläubiger geschützt werden. Anne Krueger, die als orthodoxe Marktliberale gilt, argumentiert hingegen so: Die derzeitige Praxis, Länder in Finanznot mit immer neuen IWF-Krediten künstlich über Wasser zu halten, verzerre die Märkte.

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