Al Gore lässt den Wecker klingeln

Nachdem die Demokraten lange dem Kriegskurs Bushs gefolgt sind, regt sich nun Widerstand. Grund dafür sind nicht zuletzt die nächsten Wahlen

aus Washington MICHAEL STRECK

Die Liste der Politiker, die US-Präsident George W. Bush mit Missachtung strafen muss, wird nun auch im eigenen Land immer länger. Denn die Demokraten besinnen sich plötzlich wieder auf ihre Oppositionsrolle und kündigen Widerstand gegen einen Irakkrieg an. Wenige Wochen vor den Kongresswahlen scheint es zwischen Weißem Haus und Kongress zum Showdown zu kommen.

Deutlichstes Signal für die Kehrtwendung war am Mittwoch der Auftritt von Tom Daschle im Senat. Der demokratische Fraktionschef griff in einer ungewohnt emotionalen Rede, in der er am Ende vor Heiserkeit kaum mehr sprechen konnte, Bush scharf an. Er sei empört über den Präsidenten, dass dieser den Senatoren vorwerfe, nicht an der Sicherheit des amerikanischen Volkes interessiert zu sein. Bush solle sich für diese Beleidigung entschuldigen. Bush hatte dem demokratisch kontrollierten Senat mehrfach vorgeworfen, aus wahltaktischen Gründen bestimmte Gesetze zu blockieren, weil er zum Beispiel bei der Schaffung der neuen Heimatschutzbehörde lästige Arbeitnehmerrechte berücksichtigen wolle.

Doch viel wichtiger: Immer weniger Demokraten wollen Bushs Blankoscheck für einen Militärschlag gegen Bagdad unterschreiben. Dabei war es ausgerechnet Al Gore, der den Demokraten neuen Kampfesmut einflößte. Der gedemütige Verlierer der Präsidentenwahl 2000 tauchte aus seiner politischen Versenkung auf und fuhr am Montag den bislang schwersten Angriff gegen Bushs Irakpläne. Bei einem Alleingang würde der Präsident die restlichen Sympathien für die USA in der Welt verspielen. Zuvor hatte bereits der ehemalige Präsident Jimmy Carter Bushs Erstschlagsdoktrin als radikale Abkehr von der traditionellen US-Außenpolitik gebrandmarkt.

Nun ist es nicht so, dass viele Demokraten über Nacht zu Pazifisten geworden sind. Sie unterstützen auch weiterhin einen Militäreinsatz gegen den irakischen Diktator. Doch sie lehnen den Alleingang ab. Dies umso stärker, je offensichtlicher wird, das Bush genau dieses Ansinnen verfolgt. Er hatte den Kongress in der vergangenen Woche aufgefordert, ihm die notwendigen Handlungsfreiheiten einzuräumen. Im Weißen Haus gibt man sich weiterhin zuversichtlich, eine überwältigende parlamentarische Mehrheit zu gewinnen.

Doch angesichts des zunehmenden Unmuts der Demokraten ist ungewiss, ob es vor den Wahlen am 5. November überhaupt noch zu einer gemeinsamen Resolution von Senat und Repräsentantenhaus kommt. Um die Frage „von Leben und Tod“ nicht wahltaktischen Spielen auszuliefern, drängen einige Demokraten darauf, eine Abstimmung zu verschieben. Andere wollen so lange warten, bis die UNO Waffeninspekteure in den Irak gesandt hat. „Es ist besser, chemische und biologische Waffen mit Inspekteuren zu vernichten als durch Bombenabwürfe“, sagt die einflussreiche Senatorin Diane Feinstein aus Kalifornien. In ihrem Kongressbüro hätten in den vergangenen Tagen 10.000 Menschen angerufen und sich gegen einen Krieg ausgesprochen. Nur 200 Anrufer seien dafür gewesen.

Die Demokraten wissen die Mehrheit der US-Bevölkerung mittlerweile hinter sich. Jüngste Meinungsumfragen belegen, dass die Amerikaner keineswegs ein unilaterales Vorgehen unterstützen. Zwei Drittel sprachen sich dafür aus, dass die USA nur mit Unterstützung ihrer Verbündeten einen Feldzug beginnen sollten. Jedoch glauben die meisten Amerikaner, dass sich ein neuer Golfkrieg nicht mehr verhindern lasse.

Es ist diese Alternativlosigkeit, die viele Demokraten immer stärker frustriert. Zu eilig habe man Bushs Irakpolitik beklatscht, zu lange sei man kritiklos gewesen. Nun sei der Zug bereits so in Fahrt, dass er kaum mehr zu stoppen sei, meinte Senator Dennis Kucinich aus Ohio. Die Demokraten haben daher ein Problem: Sie werden in der Öffentlichkeit als Kriegsbefürworter wahrgenommen. Für dieses Bild sind vor allem jene Senatoren verantwortlich, die 2004 gern für das Weiße Haus kandidieren und es sich nicht vorab mit der Gunst der Wähler verscherzen wollen. In der Angst, als außenpolitischer Schwächling dazustehen, haben sie Bushs Kurs bislang mitgetragen. Wenn sie überhaupt noch eine Chance beim kommenden Urnengang haben wollen, müssen sie den Präsidenten jetzt attackieren.