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„Straßen der Schönheit“

War die Reichsautobahn, das einzig Gute im Nationalsozialismus, gar eine ökologische Großtat? Das größte Bauprojekt des Dritten Reiches ist mythenumrankt, die Ästhetik des Fahrens und Reisens unter faschistischen Vorzeichen fasziniert zum Teil noch heute

von TILL DAVID EHRLICH

Gerodete Sträucher, gefällte Bäume, abgetragene Böschungen. Es waren traurige Bilder, als vor zehn Jahren die ostdeutschen Autobahnen ausgebaut wurden. Baumriesen wurden gefällt, die ein halbes Jahrhundert die Mittelstreifen verschönert hatten. Auch Grünstreifen mussten Leitplanken und Seitenstreifen weichen. Auf die Natur nahmen die Standards bundesdeutscher Verkehrssicherheit wenig Rücksicht.

Die alten Autobahnen waren nun einmal marode, dem Verkehr nicht mehr gewachsen, aber noch im Zerfall hatten sie sich ihre – wenn man so will – natürliche Schönheit bewahrt. Die „Straßen des Führers“ hatten die DDR-Zeit überstanden, nun fielen sie dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit zum Opfer. „Straßen ohne Herz und Schönheit“, eine Dokumentation des ORB-Fernsehens, beklagte 1992 den Ausbau.

Vor den Bonner Technokraten, suggerierte der Fernsehfilm, findet die Landschaft keine Gnade. Den „heutigen herzlosen Pisten“ wurde die vorbildliche Landschaftsgestaltung des Dritten Reichs vorgehalten. Damals sei die Umgebung der Straße der schönere Teil der Landschaft gewesen. Umweltverträglichkeit, wie man heute sagen würde, sei oberstes Gebot gewesen. Aber im Zeichen des Aufschwungs Ost könne sich nun Rationalismus hemmungslos entfalten. Wirtschaftlichkeit statt Schönheit.

Zehn Jahre später sind die letzten Reste der alten Reichsautobahnen verschwunden, sind in den Bundesautobahnen aufgegangen. Permanente Unfälle, Baustellen, Lkws, notorische Raser und Geisterfahrer sorgen dafür, dass nicht Schönheit, sondern Stress die Autobahn prägt. Aber der Mythos, den die NS-Propaganda inszeniert hat, ist geblieben: Die „Straßen der Schönheit“ sind unvergessen.

Vielleicht auch weil sie einen wunden Punkt berühren: die Sehnsucht nach Versöhnung von moderner Technik mit Natur. Der unbehagliche Gegensatz macht uns zu schaffen. Einerseits profitieren wir von den Segnungen der modernen Technik, schätzen die Erleichterungen, die uns vieles immer bequemer machen. Wir lieben Geschwindigkeit und Beschleunigung, überwinden räumliche Entfernungen in immer kürzeren Zeiten. Andererseits wollen wir die Zeit anhalten, sehnen unberührte Natur und Beschaulichkeit herbei. Wir leiden unter der Technik, der Entfremdung, die unser Leben immer aufregender, aber auch ungemütlicher und unüberschaubarer macht.

Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten des Dritten Reiches, dass es diese Konflikte versöhnen wollte. Die Autobahn war so ein Konzept, das pompös von der NS-Propaganda inszeniert wurde. Die Autobahn – vom Aspekt der Kriegsvorbereitung abgesehen – sollte beruhigen und versöhnen, sie sollte moderne Technik einführen und zugleich die „deutsche Erde nicht verschandeln“.

Die Nazis haben die Autobahn selbstredend nicht erfunden, aber ihre Ästhetik. Mit völkischem Marketing haben sie ein modernes, innovatives Straßenverkehrssystem als Ausdruck von Heimat und natürlicher Schönheit verkauft. Die neuartigen Straßen sollten ins ländliche Idyll führen, versprachen eine vollkommen neue Art des Reisens und Erlebens. „Der Reisende soll die neuen Verkehrswege nicht nur benutzen, sondern auch die Schönheiten des Landes neu erfahren und genießen. Die Straße selbst soll, auch vom Reisenden aus gesehen, schön sein, in der gleichen Art wie die Landschaft, die sie umgibt“, heißt es in einer Schrift aus den Dreißigerjahren.

Es wurde daher auch dafür gesorgt, dass sie nicht „verschandelt“ wurde: Reklame entlang der Autobahn wurde per Gesetz verboten. Ebenso wie man von vornherein Autobahngebühren ausschloss. Sie galten als unvereinbar mit dem erhabenen Geist des Unternehmens. Geschickt wurden ästhetische, propagandistische und wirtschaftliche Interessen verknüpft. So wurde beispielsweise die Streckenführung bevorzugt durch Waldgebiete geführt, um besiedelte Gebiete – und damit Entschädigungsleistungen oder Enteignungen – zu umgehen.

Einer der führenden Landschaftsarchitekten des „Dritten Reiches“, Alwin Seifert, wurde mit der Landschaftsgestaltung der Autobahnen betraut. Besonders wichtig war ihm die Verbindung der Straße mit dem „deutschen Wald“, dem mythischen „Ursymbol“ der Deutschtümelei: „Eine Straße aber muss Bäume haben, wenn sie eine deutsche Straße sein soll. Denn zu allem, was deutschem Wesen nahe steht, gehören Baum und Busch.“ Im „deutschen Wald“, so heiß es weiter, schöpfe das „Auto fahrende Waldvolk“ Kraft und Freude. Dass für den Bau ungezählte Bäume gefällt wurden, verschwieg die Propaganda selbstredend.

Die Autobahn sollte natürlich wirken. Deshalb wurde das Konzept der „schwingenden Straße“ entwickelt. Sie sollte nicht die kürzeste, sondern die edelste Verbindung zweier Punkte sein. Sie sollte sich organisch dem Gelände anpassen. Durfte es nicht zerreißen wie die Eisenbahn, die als „Kunstdamm“ verachtet wurde. Dagegen sollte sich die Autobahn harmonisch durch die deutsche Heimat schlängeln. Die geschwungene Streckenführung besaß oberste Priorität. Sie sollte das Gefühl von Naturverbundenheit unterstützen. Denn in der Natur gebe es keine Geraden, hieß es, die Gerade galt als „anorganisch“, als „undeutsch“.

„Die deutsche Seele auf der schwingenden Bahn“ – das war nicht nur Phrase, es war tiefste Überzeugung der Planer und Organisatoren. Es waren vor allem Ingenieure, Landschaftsgestalter, Naturschützer und Architekten. Viele kamen aus Reformbewegungen wie dem Wandervogel. Die Eisenbahn und die Industriebauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren ihnen ein Irrtum, Ausdruck von „liberalistischem“ Geist und „unorganischer Technik“.

Die Ingenieure der Autobahn waren sich dagegen einig in der Sehnsucht nach der „Wiedergesundung“ des modernen Menschen durch die Natur. Hierfür schien ihnen die Autobahn bestens geeignet. Für sie war Technik das, was das Volk kann. Die Natur dagegen das, was es nicht kann. Daher sei höchste Ehrfurcht beim technischen Umgang mit der Natur geboten.

Auf den Autobahnen des „Dritten Reichs“ gab es keine Leitplanken, auf dem Mittelstreifen wurden vereinzelt alte Bäume stehen gelassen oder neue gepflanzt, um den Eindruck einer Parklandschaft zu vermitteln. Man fuhr nicht nur einfach so dahin auf der Autobahn. Man wanderte mit dem Auto. Einsam sollte sich der Autowanderer die Tiefe und Weite des deutschen Landes erschließen.

Der Reporter Heinrich Hauser schrieb 1936: „Das scheint mir das Kennzeichen des Autowanderns zu sein: eine glückliche Zeitlosigkeit und ein glückliches Sich-leiten-Lassen von der Landschaft, von der Sonne, von der Natur.“ So werde die Fahrt auf der „schwingenden Bahn“ zum Erlebnis, durch das die Natur neu erlebt werden soll. Hier erführe das „Volk ohne Raum“ neue Perspektiven.

Das Fahren auf der Autobahn wird zur ästhetischen Sensation. „Nach wenigen Minuten befällt uns ein unglaubliches Gefühl von Sicherheit, von einem schwerelosen Schweben, ganz ähnlich wie beim Fliegen, und wir können als Fahrer die Augen über die Landschaft gleiten lassen, Schönheit aufnehmen und genießen wie nie zuvor“, schrieb Hauser 1936 in der Straße.

Fantasien wie das Autowandern wirken heute wie Schwärmereien aus einer fernen Welt. Sie sind längst von der Realität des Straßenverkehrs überrollt worden. 1,2 Millionen Pkws gab es 1938, heute sind es 44,3 Millionen. Die Reichsautobahnen haben den Krieg überstanden, den Verkehr nicht. Paradoxerweise sind die Reichsautobahnen an dem gescheitert, was ihre Erbauer unbedingt vermeiden wollten: am Moloch des Verkehrs.

TILL DAVID EHRLICH, 38, lebt als freier Journalist in Berlin. Er fährt vorwiegend Rad.

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