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Kein Job für Zartbesaitete

Mal 30, mal 150 tote Seehunde, Tag für Tag: Mit dem Nationalpark-Ranger Karl-Heinz Hildebrandt frühmorgens auf der Suche nach Kadavern vor der Halbinsel Eiderstedt

„Einmal habe ich Leute gesehen, die 15 Meter neben einem toten Seehund eine Sandburg bauten.“

von SINA CLORIUS

Sieben Uhr ist es, die Morgendämmerung lugt gerade erst über den Deich. Karl-Heinz Hildebrandt macht sich auf, um die Sandbank von Westerhever nach toten Seehunden abzusuchen. „Ich muss mich schließlich nach der Tide richten“, erklärt der 44-Jährige. Jetzt ist Niedrigwasser. Der rot-weiße Leuchtturm, das Wahrzeichen von Westerhever, blinkt noch, während Hildebrandt sein Auto vorsichtig durch die Salzwiese und über das Watt steuert, dorthin, wo Autos nur mit Ausnahmegenehmigung fahren dürfen: zur Westerhever-Sandbank, einem beliebten Badestrand nördlich von St. Peter-Ording.

Seit die Seehundseuche Ende August das schleswig-holsteinische Wattenmeer erreicht hat, fährt der Seehundjäger und Nationalpark-Ranger aus Tetenbüll täglich nach Westerhever, um Seehundkadaver zu bergen. 26 ehrenamtliche Seehundjäger sind an der schleswig-holsteinischen Westküste im Einsatz. Die Halbinsel Eiderstedt und die Inseln sind am stärksten von der Seehundstaupe-Epidemie betroffen. Hier werden die meisten Kadaver angeschwemmt, zwischen 30 und 150 am Tag. Die dortigen Seehundjäger haben entsprechend viel damit zu tun, sie einzusammeln.

Die Kurverwaltungen befürchten, der Anblick der toten Seehunde könnte Touristen abschrecken, doch Hildebrandt glaubt das nicht: „Die meisten bemerken die Kadaver gar nicht. Einmal habe ich Leute gesehen, die 15 Meter neben einem toten Seehund eine Sandburg bauten.“

Auf der Sandbank sucht Hildebrandt zunächst mit dem Fernglas den Strand ab. Ein böiger Wind weht aus Nordwest. „Bei dieser Windrichtung liegen die toten Seehunde am Nordende der Sandbank.“ Und tatsächlich: Was von weitem aussah wie ein Haufen Tang, entpuppt sich als Kadaver eines anderthalb Meter langen Seehundweibchens.

Hildebrandt zieht sich Gummihandschuhe über und dreht den Kadaver auf den Rücken, um ihn nach Auffälligkeiten abzusuchen. Dabei sieht er, wie gut das Tier noch erhalten ist. „Sie ist noch in Totenstarre, kann also nicht länger als einen bis anderthalb Tage tot sein.“ Deshalb steckt er diesen Fund in einen großen Plastiksack. „Der geht an das FTZ.“ Im Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) in Büsum untersucht Tierärztin Dr. Ursula Siebert einige der Seehunde um festzustellen, ob sie wirklich an Staupe verendet sind und ob ein Zusammenhang mit Parasitenbefall, Schadstoffbelastung und anderen Faktoren besteht.

Hildebrandt, der seit 25 Jahren Jäger und seit drei Jahren staatlich bestellter Seehundjäger ist, lädt das verpackte Tier auf seinen Anhänger und fährt weiter. Schon nach fünfzig Metern stößt er auf den nächsten Kadaver. Zwei Mantelmöwen fliegen davon, als er sich dem stark verwesten Körper nähert. Dieser ist nur 120 Zentimeter lang. „War wohl ein Jungtier vom letzten Jahr.“ Er vermisst es mit einem Zollstock und trägt alle Daten in ein Notizbuch ein. Der dritte tote Seehund ist wieder ein relativ kleines Weibchen, der vierte ein ausgewachsenes Männchen mit 175 Zentimetern Körperlänge und etwa 80 Kilo Gewicht.

Ich muss mit anpacken, um das Tier auf den Anhänger zu hieven. „Die meisten wiegen 50 bis 60 Kilo, aber ein altes Männchen kann bis zu 90 Kilo schwer sein“, erklärt Hildebrandt. Manchmal muss er einen Kollegen anrufen, damit dieser ihm beim Schleppen hilft. „Wenn es geht, nehme ich meine 16-jährige Tochter mit. Der wurde früher immer schlecht, wenn sie nur Blut gesehen hat, aber jetzt packt sie gut mit an.“ Für Zartbesaitete ist diese Arbeit nichts.

Mit jedem Kadaver, der auf dem Anhänger landet, wird der Verwesungsgeruch stärker, Hildebrandt vertreibt ihn mit Zigarettenrauch. Seine Kleidung ist blutbespritzt, Anhänger und Auto ebenso. „Die muss ich nach jeder Bergungsaktion gründlich reinigen.“ Angesichts dieses Aufwands nehmen sich die 35 Euro Bergungsprämie, die er pro Kadaver erhält, eher bescheiden aus.

Fünf tote Seehunde findet Hildebrandt an diesem Morgen auf der Westerhever-Sandbank. Anschließend fährt er noch ein Stück am Deich entlang bis zur Badestelle Stuffhusen. Inzwischen ist es hell, der Wind treibt hoch aufgetürmte Wolken über den Himmel. Der Queller in den Salzwiesen färbt sich herbstlich rot. Weit draußen im Watt sind ein paar dunkle Silhouetten auszumachen. Der Seehundjäger schaut durch das Fernglas. „Ja, das sind Seehundkadaver, aber ich warte ab bis zur Springtide, damit sie näher an den Deich geschwemmt werden. Da draußen stören sie keinen. Einmal musste ich zusammen mit meiner Tochter einen Kadaver fast zwei Kilometer weit schleppen. Da kann der Arm ganz schön lang werden.“

Einen toten Seehund, der weithin sichtbar wie eine Daunendecke über einer Lahnung hängt, muss Hildebrandt jedoch bergen. Mit Hilfe eines Stricks, den er dem Kadaver um den Hals bindet, schleift der Ranger das Tier durch den Schlick bis zum Auto. Er findet noch einen weiteren gut erhaltenen Seehund, den er für das FTZ eintütet.

Inzwischen ist es halb zehn. Noch ein Kaffee bei Fiete, dem Parkplatzwächter von Westerhever, dann muss Hildebrandt die Kadaver zum Sammelcontainer bringen. Und anschließend zur Arbeit fahren: Nach Tönning, ins Nationalparkamt, Touristen führen.

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