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Täglich Macht und Schinken

Im SPD-Shop ist die Kampa-02-Tasse runtergesetzt. Der Kanzler aus Pappe kostet immer noch 125 Euro

aus Berlin JAN ROSENKRANZ

Ein normaler Metzger trägt Schürze, nicht Anzug. Ein normaler Metzger bekommt blutige Finger, keine Faxe aus Bundesgschäftsstellen. Schinken-Becker ist kein normaler Metzger. Er ist der Metzger der Mächtigen. Abends streift er auf Beutezug durch die Hauptstadt, von einer Party zum nächsten Emfpang. Und wenn er heimkehrt, sind seine Taschen gut gefüllt mit Visitenkarten, auf denen „Mitglied des Bundestages“ steht oder „Staatssekretär“ oder gar „Attaché“.

Ob nun Stoiber regiert oder Schröder, ob die CDU die Opposition macht oder die Sozialdemokraten, Beckers Geschäft geht weiter. „Die Wahl ist gelaufen“, sagt er, „eigentlich wird sich nicht viel ändern.“ Der 53-Jährige hat von Politikern und Beamten aller Parteien Visitenkarten und seine eigenen muss er sowieso ständig in Umlauf bringen. Auf den Kärtchen, die Schinken-Becker verteilt, steht „Konferenz Catering“ – und „Wilhelmstraße“. Visitenkarten sind Kontakte sind Katalysatoren fürs Geschäft.

Wilhelmstraße klingt edel, klingt nach Nähe zur Macht, nach Politikonzentrat und Geschichte. Nach dunkler Geschichte. Hier standen die preußischen Ministerien, die alte und die neue Reichskanzlei und die Botschaften der mächtigen Verbündeten. Damals wurde die Wilhelmstraße im gleichen Atemzug mit Downingstreet, Kreml oder Weißem Haus genannt. Heute aber sieht der längste Teil der einstigen Prachtstraße mehr nach Otto-Grotewohl-Straße aus. So hieß sie in der DDR.

In einer ihrer Hinterlassenschaften, einem Endzeit-Plattenbau hinterm Adlon, betreibt Manfred Becker, genannt Schinken-Becker, seit zwei Jahren einen Laden, in dem die Prominenz des Viertels Schinken und Wein kauft und schwatzt. Doch die Laufkundschaft bringt nicht das große Geld. Lukrativer ist das Catering-Geschäft, das er vom Hinterzimmer aus managt. Von Schinkenbrötchen über gefüllte Hähnchenbrust bis Leberkäs – er liefert alles und beliefert jeden. Parteien, Verbände, Landesvertretungen, Botschaften.

Vor dem Krieg stand hier einmal das Reichspräsidentenpalais. Männer flanierten in Frack und Zylinder, Frauen mit luftigen Sonnenschirmchen. Alles gediegen. „Diese Zeit ist einfach vorbei. Aus. Schluss. Hier laufen zwar noch Politiker rum, aber das war’s“, sagt Manfred Becker. Franz Müntefering, neuer SPD-Fraktionschef, kauft um die Ecke in einem winzigen Tante-Emma-Lädchen seinen Obstsaft und Norbert Blüm von der CDU isst hier im schrabbeligen Imbiss nebenan seine Currywurst – aber das gehört wohl auch schon wieder zur Geschichte, weil der frühere Arbeitsminister ja nun in den Ruhestand gegangen ist.

Im Vergleich zur Vorkriegszeit ist also alles nicht mehr edel, alles ein wenig angeschlagen. Und wenn Becker diesen amerikanischen Touristenführer sieht, muss er lachen. „Der erzählt den Leuten, hier war dies und dort das und hier hat sich der Hitler umgebracht. Da stehen sie dann vor so einem Plattenbau und schauen betroffen“, sagt Becker und wedelt mit der Hand vorm Gesicht. „Das kann man doch nicht heraufbeschwören, hier war, hier war. Hier ist nichts mehr“, sagt er und zündet sich eine neue Roth-Händle an.

Münte wohnt im selben Plattenbau wie Anke Fuchs. Aber die bisherige Vizepräsidentin des Bundestages sitzt nicht mehr im neuen Parlament, ebenso wenig wie Rita Süßmuth, die auch noch ostig wohnt. Angela Merkel wohnte hier, bis es ihr zu laut wurde und Birgit Breuel, als sie noch Treuhand-Chefin war. Die Fenster wurden eigens für sie panzerverglast. Das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski und andere linientreue Erstmieter leben Tür an Tür mit Cats-Produzent Friedrich Kurz und Sängerin Gitte Haenning. Sogar der Dramatiker Rolf Hochhuth hat einen Zweitwohnsitz in den Platten aus Beton.

„Den kenn ich, den auch, der kauft bei mir, die auch und der und …“, zählt Becker auf, während er sich durch „Kürschners Volkshandbuch“ blättert, dem rot-weiß gestreiften Verzeichnis aller Abgeordneten. In den letzten Wochen kamen einige vorbei und haben sich bei ihm verabschiedet. Endgültig. Um manche von ihnen tut es Becker Leid. Mit dem SPD-Mann Friedhelm Julius Beucher, dem letzten Vorsitzenden des Sportausschusses, hatte er sich angefreundet.

Ein paar Hauseingänge weiter tragen Männer Kisten und Stühle aus einem Ladengeschäft. Über der Tür prangt noch immer „WahlQuartier 2002“. Die Wahlkampfzentrale der PDS befindet sich in Auflösung. Die Wilhelmstraße ist kein gutes Pflaster für die Sozialisten. Auch wenn die Straße verdammt sozialistisch aussieht, sie atmet preußische Historie – und die hat es nie sonderlich gut gemeint mit den Sozialisten. Trotzdem hatte der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hierher zu Pressekonferenzen geladen, um den Journalisten zu erklären, unter welchen Bedingungen die PDS einen Kanzler Schröder stützen wollte. Bartsch hatte erholt ausgesehen, gut gebräunt und wohl frisiert. Vielleicht haben ihn die alten Wähler nicht wiedererkannt, so ohne Oberlippenfussel. Vielleicht haben sie die ganze Partei nicht wieder erkannt, so ohne Wahlkampfthema.

Zwei Tage nach dem Gau sitzen die Besiegten ratlos um eine Bierbank im halb ausgeräumten Großraumbüro inmitten von Computerkisten und Aktenkartons. An der Wand lehnt ein überflüssig gewordenes Plakat. „Den Osten stark machen“, steht darauf. Ein paar Tage vor der Wahl hatte Halina Wawzyniak, die junge Wahlkampfmanagerin mit raspelkurzen Haaren, hier noch mutig prognostiziert, man werde sechs Prozent holen und drei Direktmandate. Das dritte werde Bärbel Grygier in Friedrichshain-Kreuzberg erkämpfen. Der einzige Gegner sei die SPD und der Grünen-Fundi Ströbele chancenlos, hatte sie gesagt. Müntefering, Süßmuth oder Merkel gingen an den Schaufenstern vorüber, sahen weg oder wechselten die Straßenseite. Ansonsten keine Reaktion. Die PDS war kein Politikum mehr, sie war irgendwie normal geworden. Und egal.

Früher flanierten hier Männer mit Frack und Zylinder. Jetzt laufen nur noch Politiker rum

Immerhin haben sich heute schon drei Anrufer gemeldet, die in die Partei eintreten wollen. „Jetzt erst recht“, hätten sie gesagt, sagt die junge Frau am Empfangstresen. Sie sieht trotzdem unglücklich aus. Ihr Vertrag sei zwar ohnehin nur befristet, aber auch für sie wäre es besser gewesen, wenn das Projekt erfolgreicher verlaufen wäre. Eigentlich sei sie Ethnologin, Spezialgebiet nordafrikanische Nomadenstämme. „Ich habe wohl so einen Minderheiten-Tick“, sagt sie. Es klingt wie eine Entschuldigung.

Das Leben geht wird weitergehen in der Wilhelmstraße, auch ohne PDS. Wahrscheinlich müssen sie noch die Schriftzüge von den Schaufenstern spachteln. In der Wilhelmstraße ist die PDS das Opfer der Wahl. Bis Sonntag gehörte ihr dieser Wahlkreis Berlin-Mitte, seit Sonntag gehört er der SPD. Für die anderen Wilhelmsträßler hinterlässt der Sonntag wenig Spuren. Klar, es werden einige Umzugswagen vorfahren, für den Hausstand der Abgeordneten, die es nicht wieder geschafft haben. Klar, man muss damit rechnen, dass im Arbeitsministerium ein Chef kommen wird. Doch eigentlich wird alles bleiben, wie es war. Spar-Hans Eichel wird weiter seinen Joghurt im Supermarkt Ullrich kaufen und mittags im Imbiss nebenan Hähnchen mit Pommes futtern. Und Renate Künast, die Verbraucherschutzministerin, wird weiterhin ab und an einen lustigen Mitarbeiter zum pädagogischen Programm in die benachbarte Grundschule schicken. „Der Ernährungsclown“, sagt der Hausmeister der Schule.

Im SPD-Fanshop wird irgendwann auch die blaue Kampa-02-Kaffeetasse ausverkauft sein. Sie ist im Angebot: 1,85 Euro statt bisher 5. Der Kanzler aus Pappe wird weiter deftige 125 Euro kosten. Aber der hält sich ja vielleicht auch noch vier Jahre. Ganz unten, am Kreuzberger Ende, wo die Stresemannstraße spitzwinklig auf die Wilhelmstraße trifft, dort hat die SPD ihr Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale, hingestellt. Der Volksmund sagt Dampfer dazu, behauptet die SPD. Das stimmt natürlich nicht. Das ist gelogen. Die Berliner sagen weder Waschmaschine zum Kanzleramt, noch Telespargel zum Fernsehturm, und sie wohnen auch nicht in Spree-Athen. Doch angenommen, die SPD-Zentrale ist tatsächlich ein Dampfer, dann haben die SPD-Anhänger am Wahlabend in der Gischt gestanden – nicht im Regen.

Schinken-Becker war im Trockenen, auf der Kommandobrücke. Die SPD hatte Ehrengäste in den fünften Stock geladen und Schinken-Becker hatte eine Zutrittsberechtigung. Irgendwie bekommt er immer eine. Davor ist er bei der Union gewesen, dort hatten sie schon gesungen und geklatscht. Hier sollte es noch eine Weile dauern. Ihm war das Recht. Wenn es ums Geschäft geht, ist er emotionslos.

Als Lobbyist in eigener Sache muss man flexibel sein und auf alles vorbereitet. Manchmal kommt es überraschend. So wie im Juli. Es war einer dieser vielen Hauptstadtempfänge, auf denen sich Politik, Wirtschaft und Journaille treffen. SPD-Fraktionschef Peter Struck war auch da. Schinken-Becker lieferte das Catering. Man süffelte und small-talkte sich durch den Abend, knüpfte Kontakte und tauschte Visitenkarten. Struck hatte das Bier gefallen, hat er gesagt. Naturtrübes aus dem Sauerland. „Ein paar Tage später war der Struck Verteidigungsminister“, sagt Schinken-Becker. Sein Schaden wird es nicht sein.

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