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Letzter Stopp vor der Ausreise

ImmigrantInnen, die nicht in Abschiebehaft genommen werden dürfen und laut Gesetz dennoch ausreisepflichtig sind, sollen künftig in speziellen Zentren wohnen. Ein Leben ohne Perspektive

von ANDREA KORTHEN

Mit der Schaffung so genannter Ausreisezentren ist die ausländerpolitische Rhetorik wieder einmal um einen Euphemismus reicher. Ausreisezentren sind Lager, in die ausreisepflichtige Menschen, die man mangels Pass nicht abschieben kann, eingewiesen werden, um sie mit sozialem und psychischem Druck zur Mithilfe an ihrer eigenen Abschiebung oder zur „freiwilligen“ Ausreise zu zwingen. In Deutschland gibt es solche Lager bislang als Modellprojekte in Rheinland-Pfalz (Ingelheim) und Niedersachsen (Braunschweig und Bramsche). Eine 1998 in Lübbecke in Nordrhein-Westfalen entstandene so genannte „Rückkehreinrichtung“ wurde nach eineinhalb Jahren geschlossen, nachdem sie aufgrund schwerwiegender Zwischenfälle in die Kritik geraten war.

Dennoch ist die Idee der Ausreisezentren aktueller denn je: In Bayern und Sachsen-Anhalt entstehen ähnliche Lager. Das Zuwanderungsgesetz sieht die Möglichkeit von Ausreisezentren in Landesträgerschaft ausdrücklich vor. Flüchtlinge, insbesondere solche aus Kriegs- und Krisenregionen, haben oft große Angst vor einer Rückkehr in ihr Heimatland. Deshalb geben sie manchmal falsche oder unvollständige Personalien an oder weigern sich, bei der Vertretung ihres Heimatlandes neue Papiere zu beantragen. Für fehlende Papiere ist allerdings nicht immer der Flüchtling verantwortlich: Es kommt nicht selten vor, dass die Herkunftsstaaten zum Beispiel Angehörige ethnischer Minderheiten nicht als Staatsangehörige anerkennen und ihnen deshalb keine Reisepapiere ausstellen. Das Desinteresse mancher Länder, ihre Staatsangehörigen wieder aufzunehmen, ist auch den Behörden bekannt. Deshalb arbeiten die Innenministerien an zwischenstaatlichen Vereinbarungen und der Kooperation mit Botschaften: Das Ergebnis von Staatsangehörigkeitsfeststellungen und Rückübernahmen hängt aber auch von der Qualität der diplomatischen Kontakte und letztendlich vom Geld ab (etwa für Ausgleichszahlungen). Auch Flüchtlinge, die die überzogenen Anforderungen mancher Staaten zur Erteilung von Papieren (Vorlage einer Geburtsurkunde) nicht erfüllen können, geraten in den Verdacht der Identitätstäuschung, ohne diesen widerlegen zu können.

Das Leben im Ausreisezentrum setzt die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen unter verschärften Bedingungen fort: Die Lager liegen isoliert außerhalb der Städte, eine streng gehandhabte Residenzpflicht beschränkt die Freizügigkeit auf die Kommune. Die Leistungsansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind minimal. Das bedeutet in der Regel die Streichung jeglichen Bargelds zur Deckung persönlicher Bedürfnisse. Die Aufnahme einer Arbeit, zum Teil sogar gemeinnütziger Arbeit und Deutschkurse sind verboten. Teilweise gibt es tägliche Meldepflichten und ständig wiederholte Befragungen.

Auf der Suche nach der (vermeintlich) verschwiegenen Identität fungieren auch Vertrauenspersonen wie Sozialarbeiter und Dolmetscher als Vollstreckungsgehilfen der Abschiebung: Wiederholte Durchsuchungen der letzten Habseligkeiten oder das Lesen persönlicher Briefe rauben den letzten Rest an Intimsphäre. Flüchtlinge berichten über die Konfiszierung des bescheidenen Besitzes, ein paar Euro Bargeld, ein Handy.

All dies ist keine unschöne Begleiterscheinung, sondern Kern des Konzepts. Dietmar Martini-Emden, Leiter der „Clearingstelle Rheinland-Pfalz für Flugabschiebung und Passbeschaffung“ erklärte unverblümt, dass „Ausreisepflichtige damit in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt werden sollen“. Genannt wird das Ganze dann aber nicht etwa Zermürbungstaktik, sondern psychosoziale Betreuung. Das rheinland-pfälzische Betreuungskonzept dient, so erklärt Martini-Emden, unter anderem dazu, „Absichten und Erwartungen kennen zu lernen, Rückkehrhemmnisse zu erforschen“.

Dafür dürfte jedoch auch ein Blick in die Asylakte genügen: Jeder Mensch, der vor unerträglichen Lebensumständen flieht, wird kaum freiwillig zurückkehren wollen. Eine Alternative zur Abschiebungshaft sind die „Ausreisezentren, anders als die Verantwortlichen glauben machen wollen, auch nicht. Denn überwiegend landen diejenigen in den Zentren, die aus rechtlichen Gründen nicht in Haft genommen werden dürfen: Abschiebungshaft darf lediglich die Abschiebung „sichern“, aber nicht dazu dienen, Flüchtlinge zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Ausreisezentren stellen daher keine Alternative, sondern eine Ergänzung zur Haft dar. Sie lassen dabei der Willkür der einweisenden Beamten breiten Raum. Kein Richter befindet über die Zulässigkeit der Einweisung.

Nach anfänglicher Begrenzung wurde der Kreis der Betroffenen immer stärker ausgeweitet: In Niedersachsen werden inzwischen auch Frauen und Familien mit nicht schulpflichtigen Kindern eingewiesen. Auch kranke Menschen sind nicht vor Zwangseinweisung geschützt.

In Niedersachsen heißt es im Standardbrief an die Betroffenen: „(…) dass Sie Ihren Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln bestreiten und dadurch über Ihren unrechtmäßigen Aufenthalt hinaus eine besondere Belastung für das Land darstellen“.

Im Hinblick auf die vorgeblichen Ziele, Förderung der Rückkehrbereitschaft, Passbeschaffung, Ausreise oder Abschiebung, können die Verantwortlichen allerdings kaum Erfolge verbuchen. Nur ein kleiner Teil der Eingewiesenen, je nach Einrichtung zwischen 5 und 17 Prozent, sind freiwillig ausgereist oder wurden abgeschoben. Knapp zehn Prozent kehrt wieder in die Kommunen zurück. Für viele ist das Ausreisezentrum nicht Übergangsstation zur Ausreise, sondern Daueraufenthaltsort. Rund die Hälfte der Flüchtlinge, zwischen 42 und 53 Prozent, verschwindet allerdings nach angekündigter oder vollzogener Zwangseinweisung. Manche melden sich nach einiger Zeit wieder bei den Behörden, andere ziehen dauerhaft ein Leben in der Illegalität den täglichen Entwürdigungen im Ausreisezentrum vor.

Die Autorin ist Referentin bei Pro Asyl

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