: Der gefährliche Blick
Sie arbeitet mit Make-up und Frauenhäusern. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin zeigt Videos und Collagen der Zagreber Künstlerin Sanja Iveković, die auf der Documenta_11 vertreten war
von HARALD FRICKE
Man muss sich Jugoslawien in den Siebzigerjahren als Miami des Ostblocks vorstellen – tolle Strände inklusive. Viel hängt an der Erinnerung an ein Land, das nicht bloß militärisch unabhängig von der Sowjetunion blieb, sondern dem Westen offen stand, ob touristisch oder zum Warenaustausch. Hier lebten sie wirklich, die Kinder von Marx und Coca-Cola. Oder waren es die Kinder von Marx und Helena Rubinstein?
Wenn man sich die Videos, Fotos und Collagen der 1949 geborenen Sanja Iveković in Berlins Neuer Gesellschaft für Bildende Kunst anschaut, erscheint das damalige Jugoslawien tatsächlich als Folie für eine luxuriöse Popkultur. Selbstverständlich bezieht sich die Künstlerin aus Zagreb in ihren frühen Arbeiten auf Genderfragen und weibliches Rollenverhalten, indem sie mit den Vorgaben des Konsums spielt: Ich schminke, also bin ich. Oder auch nicht.
Vielleicht existiere ich bloß in den Ähnlichkeiten, die sich aus dem Zusammenspiel der Selbstwahrnehmung mit medialer Bildproduktion ergeben, das ist zumindest eine Überlegung, die Iveković beschäftigt. Auch im Video „Personal Cuts“, mit der die 53-Jährige auf der Documenta_11 vertreten war. Alles ist eine Frage der Ikonografie: Mal stellt sie Reihen her, in denen Zeitungsfotos von Marilyn Monroe mit Bildern aus Iveković’ privatem Fotoalbum hübsche Symmetrien bilden; dann wieder werden die Versprechungen der Werbung am eigenen Leib ausprobiert – mit erstaunlichen Konsequenzen.
Da ist das Video „Make Up – Make Down“ von 1976. Der Monitor zeigt den Oberkörper einer Frau, die immer neue Kosmetik hervorholt, Lippenstifte öffnet, mit Maskara hantiert und das Auftragen von Make-up als intimes Ritual vorführt. Doch den eigentlichen Ort der Veränderung sieht man in all dem Geschehen nicht: Während ihr Gesicht abwesend bleibt, ist die Kamera ganz und gar auf die Handgriffe von Iveković fokussiert. Damit verschwindet jegliche Zielgerichtetheit im Akt des Schminkens, dem auch nach fünf Minuten noch immer kein sichtbares Ergebnis folgt.
Zusätzlich zur anonymisierten Situation sind die Bewegungen sehr verlangsamt. Lasziv schraubt die Frauenhand einen Lippenstift aus der Ummantelung, streicht mit den Fingern behutsam über die Spitze eines Eyeliners, wie bei einem symbolischen Striptease. Weil es nichts zu sehen gibt, ist Platz frei, um zu fantasieren: über das Zusammenspiel von Maskerade und Begehren, über die Zuschreibungen von Weiblichkeit, die hier als das inszeniert werden, was sie sind: Zeichen.
Natürlich gehören solche Herangehensweisen in Sachen Subjekterfahrung und Differenz einer weit zurückliegenden Geschichte an, so wie die Reklamen für Make-up und Mode, mit denen Iveković operierte, von heute aus betrachtet einiges an Patina der Siebzigerjahre tragen. Trotzdem geht es in der Retrospektive nicht um die Aufarbeitung eines spezifischen Ostfeminismus im hedonistischen Jugoslawien, sondern um die Vergegenwärtigung eines Konflikts: Wie sah das Bild der Frau im Sozialismus aus? Und welches Bild setzte die Künstlerin dagegen? Dann führen die Schminkeskapaden, die sich in den ebenfalls 1976 entstandenen „Tagebuch“-Collagen aus hinter Glas gepressten Wattepads und Lipgloss-Reklamen fortsetzen, zur Aktion „Triangle“ von 1979, die in der Ausstellung mit vier Fotos repräsentiert ist. Sie zeigen Iveković eher unspektakulär auf dem Balkon einer Hochhauswohnung, unten fährt die Staatskarosse Titos anlässlich der 1.-Mai-Parade vorbei. Die Plattenbauidylle entpuppt sich in einem begleitenden Text als Skandal: Um den Wachschutz zu provozieren, der zur Sicherung des Präsidenten auf dem Dach eines nahe liegenden Gebäudes postiert war, hatte Iveković irgendwann den Rock gelüpft und Gesten gemacht, als ob sie masturbiere. Der Polizist auf dem anderen Hochhaus reagierte prompt, wenig später stand ein Kollege vor ihrer Tür und befahl, „Personen und Objekte vom Balkon zu entfernen“. Verblüffend daran ist nicht die Leichtigkeit, mit der Iveković die Überwachung als voyeuristische Blickweise entlarvt. Die Irritation liegt vor allem darin, dass hier das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre umkippt. Oder wie Bojana Pejić im Katalog nicht ohne Ironie schreibt: Statt die physische Sicherheit des Präsidenten auf seiner Route zu gewährleisten, sicherte die Security „die visuelle Ordnung“ – obwohl Tito vom Anblick der Frau überhaupt nie gefährdet gewesen wäre, weil er sie oben auf ihrem Balkon gar nicht hätte sehen können.
Auch hier zielt Iveković auf eine Wahrnehmung ab, in der die vermeintliche Unsichtbarkeit des Geschehens erhöhte Aufmerksamkeit erzeugt. Dahinter steckt ein vehement politisches Konzept: Bilder sind Blickproduktionen, keinesfalls „natürliche Tatsachen“ (Pejić) der Realität. Dieses Rüstzeug dient Iveković, wenn es um Fragen zum Stellenwert der Frau geht, deren Gleichberechtigung im modernisierten Sozialismus Jugoslawiens der Siebziger- und Achtzigerjahre eben nicht Propaganda sein sollte, sondern Wirklichkeit.
Insofern sind die Arbeiten der Neunzigerjahre nach den nationalen Aufspaltungen Jugoslawiens außerordentlich scharf munitioniert. Die Serie „GenXX“ von 1998 zeigt Poster nach Motiven aus Modezeitschriften, die mit Biografien antifaschistischer Widerstandskämpferinnen aus der NS-Besatzungszeit beschriftet wurden – das Modell als Mahnmal im einst Hitler-freundlichen Kroatien. Zeitgleich entstanden Projekte mit Frauenhäusern in Bangkok, Zagreb und Luxemburg, zu deren Unterstützung Iveković Postkarten mit den Vornamen der Bewohnerinnen als orange leuchtendes Logo auf schwarzem Grund drucken ließ. Wieder ist es eine anonyme, fast neutrale Form, mit der hier Gewalt markiert und zugleich öffentlich sichtbar gemacht wird. Viele der Frauen sind geflüchtete Musliminnen, Opfer des ethnischen Kahlschlags in Bosnien-Herzegowina. Geschlagen wurden sie allerdings schon vorher, von ihren Ehemännern.
Bis 20. 10., Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, Katalog: 15 €
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