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Requiem für eine Oper

Für manche ist es eine „Personaleinzelangelegenheit“, für andere der Anfang vom Ende der Deutschen Oper

Führungslos dümpelt das Haus seiner Fusion mit der Staatsoper entgegenAuch Zimmermann schaffte es nicht, eine Wende zum Besseren durchzusetzen

aus Berlin RALPH BOLLMANN

Alles ganz harmlos, findet Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Was der Berliner Senat heute Vormittag im Sitzungssaal des Roten Rathauses berate, sei nichts als eine schnöde „Personaleinzelangelegenheit“. Und als solche streng vertraulich: Es geht um die vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrages zwischen dem Land Berlin und Herrn Professor Udo Zimmermann, geboren am 6. Oktober 1943 in Dresden, beschäftigt seit dem 1. August 2001 als Generalintendant der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg.

Was Flierl nicht sagt, aber nur halbherzig dementieren lässt: Der erzwungene Rücktritt des Intendanten könnte gleichzeitig den Anstoß geben für einen harten Schnitt zur Lösung der Berliner Opernkrise, die seit der Wiedervereinigung schwelt. Für Subventionen von mehr als 100 Millionen Euro jährlich bieten die drei Berliner Opernhäuser ein Musiktheater, das von den Kritikern regelmäßig zum „Ärgernis des Jahres“ erkoren wird – und von dem sich auch das Publikum abwendet: So viele Plätze wie in Berlin bleiben in keiner anderen europäischen Großstadt leer.

Führungslos und ohne künstlerisches Konzept dümpelt die Deutsche Oper mit ihren 1.885 Plätzen und einer jährlichen Subvention von rund 40 Millionen Euro einer Fusion mit der traditionsreichen Staatsoper im Zentrum der Stadt entgegen. Versprechen wollen Flierl und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nur noch, dass in dem Westberliner Nachkriegsbau auch künftig Oper gespielt wird. Von wem, sagen sie aber nicht.

Das weit außerhalb des neuen Stadtzentrums gelegene Musiktheater war im Wettstreit der drei Berliner Opernhäuser längst ins Hintertreffen geraten. Die Staatsoper Unter den Linden hat sich mit ihrem prominenten Chefdirigenten Daniel Barenboim als die wahre Hauptstadtoper etabliert, und die benachbarte Komische Oper will unter ihrem neuen Intendanten Andreas Homoki wieder mit frechen Regiekonzepten von sich reden machen. Dagegen glänzte die Deutsche Oper in den letzten Jahren nur noch mit Meldungen über interne Querelen, überzogene Etats oder streikende Orchestermusiker. Auch Zimmermann schaffte es nicht, eine Wende zum Besseren durchzusetzen.

Bevor der Intendant sein Amt antrat, war die Deutsche Oper der bevorzugte Treffpunkt von Wilmersdorfer Witwen mit Dauerwelle und Pelzmantel. Als Höhepunkte jeder Saison galten Galavorstellungen mit einer italienischen Sängerin namens Lucia Aliberti, die dem Stammpublikum des Hauses als Primadonna assoluta galt. Die „halbszenischen“ Aufführungen, in denen die andernorts völlig unbekannte Sängerin unbeholfen in angestaubten Kostümen aus dem Fundus agierte, waren stets ausverkauft.

Die Inszenierungen, die auf dem Charlottenburger Spielplan standen, waren zur Hälfte älter als zehn Jahre. Im Programmheft signalisierte nicht selten ein Kreuz hinter dem Namen, dass der Regisseur bereits verstorben war. Das einzig Schöne daran war, dass Regisseure beim konservativsten Opernpublikum Deutschlands noch richtige Skandale auslösen konnten – ganz gleich, ob es sich nun um Hans Neuenfels’ bejubelten „Nabucco“ handelte oder um Christof Nels nach Kritikermeinung missratenen „Fidelio“.

Zur Demontage des eigenen Hauses trugen aber auch die Künstler kräftig bei. Ganz so, als hätten sie von drohenden Opernschließungen noch nie etwas gehörten, legten die Orchestermusiker 1998/99 gleich mehrfach den Betrieb lahm.

Eine aufwändige Neuproduktion von Schönbergs „Moses und Aaron“ wurde nur ein einziges Mal und noch dazu mit einer Dreiviertelstunde Verspätung gezeigt, alle weiteren Vorstellungen fielen aus. Die Instrumentalisten verteidigten damals ihre „Medienpauschale“. Diese Zulage wird eigentlich für Übertragungen in Funk und Fernsehen gezahlt, doch für die Produktionen der Deutschen Oper hatte sich seit Jahren kein Sender mehr interessiert.

Zuletzt lähmte der Dauerzwist zwischen Zimmermann und dem Chefdirigenten Christian Thielemann den Opernbetrieb. Der Traditionalist Thielemann war aus Protest gegen die Berufung des Modernisierers Zimmermanns zunächst zurückgetreten, aber auf den dringenden Wunsch einflussreicher Berliner Lokalpolitiker wieder installiert worden – gegen den Willen des Intendanten. Die Konsequenz: Als wohl einziger Musikchef eines deutschen Opernhauses dirigierte Thielemann in zwei ganzen Spielzeiten keine einzige Premiere.

Auswärtige Dirigenten bestritten die sechs Neuproduktionen der vergangenen Spielzeit, und für die Regie engagierte Zimmermann große Namen von Peter Konwitschny und Achim Freyer bis hin zum Architekten und Opernneuling Daniel Libeskind. Doch es war, als läge über dem Haus ein Fluch: Sie konnten allesamt an ihre Erfolge andernorts nicht anknüpfen. Die Leistungen des Orchesters, das sich Thielemann gewünscht hatte, grenzten nach Kritikermeinung bisweilen an Obstruktion.

Vor diesem Hintergrund ist es höchst erstaunlich, dass die Einnahmen aus dem Kartenverkauf in der zurückliegenden Saison nur um 9 Prozent zurückgingen. Dennoch boten diese Zahl und das daraus resultierende Defizit jetzt den Anlass für Zimmermanns Hinauswurf, den am Charlottenburger Haus offenbar nicht wenige begrüßen – vom Orchester bis zum Publikum. Doch es könnte auch für ihr eigenes Haus der Anfang vom Ende gewesen sein.

Vor zwei Jahren hatte der damalige Kultursenator Christoph Stölzl (jetzt CDU) den vergeblichen Anlauf zu einer Opernfusion unternommen, bei dem er eine Führungsrolle der Deutschen Oper und die faktische Abwicklung der damals führungslosen Staatsoper vorsah. Jetzt könnte das Konzept, das vom heutigen Bürgermeister Wowereit damals kritisiert wurde, unter umgekehrten Vorzeichen verwirklicht werden.

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