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Nach der Euphorie die Ernüchterung

Der Wiederaufbau Afghanistans kommt nicht voran. Hilfe und Infrastruktur reichen nicht für Erholung der Wirtschaft

DELHI taz ■ Fahrräder, Baumaschinen, Toiletten und Handnähmaschinen – das waren beliebte Ausstellungsstücke auf der ersten internationalen Wirtschaftsausstellung in Kabul seit beinahe dreißig Jahren. Aber auch Medikamente, Geräte zur Steinverarbeitung und Anlagen für Industriegase oder zum Schmelzen von Schrott, mit dem das ganze Land übersät ist, fanden Interesse. 170 indische Firmen zeigten ihre Produkte in einem Land, dessen Wirtschaft bei null anfängt.

Die euphorische Stimmung vom Mai ist verflogen. Präsident Hamid Karsai blieb der Ausstellungseröffnung aus Sicherheitsgründen fern. Die Zahl der Bombenexplosionen und Attentatsversuche steigt. Den indischen Firmen wurde klar: Der riesige wirtschaftliche Bedarf nach 22 Jahren Krieg wird sich nicht so schnell in aktuelle Nachfrage umsetzen. Das Land ist nicht befriedet und wirtschaftliche Hilfe lässt auf sich warten.

Gleichzeitig mit der Messe in Kabul traf sich in Washington der Steuerungsausschuss für den Wiederaufbau in Afghanistan. Das Gremium war bei der Konferenz der Geberländer USA, Japan, EU und Saudi-Arabien im Januar in Tokio entstanden. Auch hier hat Ernüchterung Einzug gehalten. Von den 4,5 Milliarden Dollar, welche dem Land damals versprochen wurden, sollten 1,8 Milliarden in diesem Jahr zum Einsatz kommen. Doch US-Außenminister Colin Powell erklärte, bisher seien nur etwa zwei Drittel dieser Summe ausgezahlt. Er malte ein düsteres Bild: „Das Land wird in Kriegsräuberei und Chaos zerfallen ohne zusätzliche internationale Unterstützung.“ Finanzminister Paul O’Neill warnte vor den Folgen, wenn Lehrer und Minensucher, Polizisten und Bauarbeiter in Kürze keinen Lohn mehr ausbezahlt bekämen. Die Weltbank prophezeite: „Falls nicht rasche Hilfe die Regierung befähigt, die Not des Volkes zu lindern, besteht eine reale Gefahr, dass sich das zerbrechliche Umfeld von Politik und Sicherheit auflöst.“

Der afghanische Finanzminister Aschraf Ghani, ein ehemaliger Weltbank-Ökonom, widersprach Powell: Nicht zwei Drittel der 1,8 Milliarden Dollar, sondern weniger als die Hälfte sei ausbezahlt worden. Davon seien aber nur 90 Millionen in die Staatskasse geflossen, obwohl die Regierung für ihre Aufgaben 375 Millionen benötige. Der größte Teil der Hilfe sei an die Hilfswerke und die Schutztruppe geflossen. Präsident Karsai hat immer wieder kritisiert, dass von den drei Tokio-Zielen Nothilfe, Rekonstruktion und Aufbau der Infrastruktur der Wiederaufbau zu kurz gekommen sei.

Allein für Flüchtlingsrückkehr, Sicherheit und Nahrungsmittelhilfe fließen 2002 insgesamt 841 Millionen Dollar. Doch das Geld geht auch deshalb vor allem in die Nothilfe, weil die Lage der Landwirtschaft weiterhin kritisch ist. Dort finden 90 Prozent der Bevölkerung ihre Lebensgrundlage. Die Regenfälle im April beendeten zwar die dreijährige Dürre, doch genügten sie nicht, um die Wasserspeicher zu füllen und Saatgutvorräte zu bilden. Die künstliche Bewässerung ist inzwischen stark eingeschränkt. Schon rechnen die Experten, dass bis Juni 1,7 Millionen Tonnen Weizen zu wenig geerntet werden. Hält der überraschend starke Rückstrom von Flüchtlingen an (1,6 Millionen bis Ende August), wird im bevorstehenden Winter jeder dritte Afghane von Nahrungsmittelhilfe abhängig sein.

Investitionen in die Infrastruktur sind schwierig. Es gibt keine staatliche Verwaltung, keine Kommunikation, und Warlords kontrollieren weite Teile des Landes. Für den Straßenbau, der zentral für den Wiederaufbau ist, etwa fehlen Fachkräfte und Banken. Afghanistan besitzt nur 3.000 Kilometer asphaltierte Straßen, von denen heute vielleicht zwanzig Prozent in gutem Zustand sind. „Während sich die Welt beschleunigt, wird Afghanistan immer langsamer“, beklagte sich Finanzminister Ghani. „1973 brauchte man zwei Stunden für die Fahrt von Dschalalabad nach Kabul. Heute sind es acht.“ Mit einer Ausnahme hatte bis Ende August noch kein Straßenprojekt begonnen.

Verzögerungen gibt es überall. Im Juli scheiterten die Verhandlungen zwischen der Asiatischen Entwicklungsbank und der Regierung über die Sanierung der Straße zwischen Kabul und Kandahar. Vor zwei Wochen nun haben sich die USA, Saudi-Arabien und Japan entschlossen, anstelle des ADB-Kredits 180 Mio. Dollar bereitzustellen, um die großen Transversalen Herat – Dschalalabad und Masar – Kandahar sofort an die Hand zu nehmen. „Wir haben die Erwartungen hochgeschraubt“, sagte Colin Powell in Washington. „Nun müssen wir zu unseren Verpflichtungen auch stehen.“

Ein guter Indikator für die Wirtschaftslage und die Stärke des Staats sind die Produktionszahlen beim Opium. Der Anbau von Schlafmohn war von 5.050 t (1999) und 3.276 t (2000) im letzten Jahr auf 185 Tonnen gesunken, das Resultat eines Taliban-Verbots und der Dürre. In diesem Jahr könnte die Ernte laut Angaben des UNO-Drogenprogramms wieder auf 3.000 Tonnen hochschießen. Beobachter sehen darin weniger die Folge von skrupelloser Geldgier als von wachsender wirtschaftlicher Not. Da Schlafmohn weniger Wasser als Weizen braucht, gibt sein Anbau den Bauern Geld in die Hand, mit dem sie auf dem Markt Nahrung für ihre Familien kaufen können. Die Vernichtung der Felder, die im April begann, musste drei Monate später abgebrochen werden, weil die Kompensationszahlungen – für jeden Hektar erhielt der Bauer 13.000 Dollar – ins Stocken gerieten. Zudem gelang es dem Staat nicht, den Widerstand von Drogenhändlern und Kommandanten zu brechen. BERNARD IMHASLY

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