Die Hand des Professors

Das Gesetz zur Buchpreisbindung wollte alles beim Alten lassen. Doch heimlich verschwand der „Hörerschein“, der Studierenden Rabatt gab

Für Studienanfänger war er ein Geheimtipp, für ältere Semester eine Selbstverständlichkeit: der Hörerschein. Generationen von Studenten gehörten zu den Glücklichen, die trotz des starren Systems der Buchpreisbindung einen Rabatt beim Bücherkauf begehren konnten. 20 Prozent Nachlass brachte die Unterschrift eines Professors beim Kauf von dessen Werken. Seit dem 1. Oktober gibt es den Hörerschein nicht mehr. Still und heimlich wurde er abgeschafft – mit dem neuen Gesetz zur Buchpreisbindung, das nach langem Hin und Her an diesem Tag in Kraft getreten ist.

In seltener Einmütigkeit hatten SPD und Grüne mit PDS und CDU gemeinsam das Gesetz zur Sicherung der Buchpreisbindung verabschiedet, selbst die FDP wollte dabei nicht abseits stehen und unterdrückte ihren Skrupel vor dem kartellpolitischen Sündenfall. Trotz der fraktionsübergreifenden Einigkeit wurde das Gesetz sorgfältig beraten, die Verbände wurden konsultiert, kleine Änderungen eingefügt – nur über die Streichung des Hörerscheines war im Parlament kein Wort zu vernehmen.

Etwas antiquiert war er schon, der Hörerschein, stammte noch aus Zeiten, in denen Hörergelder an den Universitäten zu zahlen waren und der Kopierer nicht erfunden war. Er kam aus einer Zeit, in der die mit krakeliger Schrift verfassten Vorlesungsnotizen die wichtigsten Unterlagen für die Examensvorbereitung bildeten. Natürlich gab es die ganz Schlauen, die es mit dem Eigenverbrauch nicht so genau nahmen und Freunde wie Freundinnen mit billigen Lehrbüchern versorgten. Über eines waren sich dabei die meisten Studenten nicht im Klaren: Der Hörerschein war keine großzügige Geste ihrer Professoren, den Rabatt hatten Verlag und Buchhandel zu tragen.

Für die Studierenden endet nicht nur eine Institution, sie sind auch materiell die Verlierer des neuen Gesetzes, das angeblich alles beim Alten belassen wollte. Den Autoren gegenüber zeigt sich übrigens das neue Gesetz viel großzügiger: Ihr Rabatt – nicht nur für das eigene Werk, sondern für das gesamte Verlagsprogramm – bleibt bestehen.

Natürlich, wird man einräumen, gibt es Schlimmeres als den Verlust des Hörerscheins. Doch tatsächlich ist die Ausbildung an den Universitäten und Hochschulen inzwischen durch die exorbitanten Preise für wissenschaftliche Literatur gefährdet; Preissteigerungen von zehn bis zwanzig Prozent pro Jahr sind an der Tagesordnung. Dazu kommen die Zeitschriften, die zwar von der neuen Preisbindungspflicht ganz ausgenommen, trotzdem aber hauptverantwortlich für die hohen Preissteigerungen sind, unter denen die Hochschulen leiden. Manche Universität und manche wissenschaftliche Einrichtung hat vor dieser Preissteigerung schon kapituliert und den Kauf von Literatur ganz gestoppt.

Dieses Problem geht das neue Gesetz, das Kultur und Bildung schützen will und doch damit besonders die Interessen des Buchhandels meint, nicht an. Die Eindämmung der für die wissenschaftlichen Bibliotheken bedrohlichen Preissteigerungen ist kein Ziel der Preisbindung , denn sie kann (und will) keine Preissteigerungen verhindern.

„Macht die Bücher billiger“, hatte Tucholsky einst gefordert. Ein solcher Impuls geht von dem neuen Gesetz nicht aus. Der alte, nunmehr abgeschaffte Hörerschein brachte ein ganz kleines bisschen Umverteilung in das System der Preisbindung. Und er war ein kleiner liebevoller Beweis, wie wertvoll die Unterschrift eines Professors sein kann. Seit letzter Woche gibt es ihn nicht mehr.

KLAUS-RAINER BRINTZINGER

Der Autor ist promovierter Volkswirt und Leiter einer wissenschaftlichen Bibliothek in Tübingen