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Privatisierte Gewalt

Herfried Münkler hat einen kundigen Essay über die Geschichte und die Folgen der „neuen Kriege“ des 21. Jahrhunderts verfasst von ERHARD EPPLER

Dass Krieg im 21. Jahrhundert etwas anderes bedeuten wird als im 20. hat zuerst der israelische Militärtheoretiker Martin van Crefeld systematisch dargestellt. Sein Buch über „The Transformation of War“ erschien in New York 1991. Erst 1998 war es in deutscher Übersetzung zu lesen (“Die Zukunft des Krieges“). Das allein zeigt, wie lange man in Deutschland brauchte, um den epochalen Umbruch wahrzunehmen. Wo immer ich versuchte, auf das zu verweisen, was ich die „Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt“ nannte, blieb es ohne Echo. Als 1999 eine kluge Britin, Mary Kaldor, ihr Buch zum Thema veröffentlichte, brauchte der Suhrkamp Verlag nur noch ein Jahr, bis er die deutsche Übersetzung präsentierte. Titel: „Neue und Alte Kriege“. Mich faszinierte die Spannung zwischen englischem Titel und Untertitel: “New and Old Wars - Organized Violence in a Global Era“. Ist es sinnvoll, die organisierte (Kaldor nennt es oft auch privatisierte) Gewalt unter die Kriege einzureihen?

Nach dem 11. September wurde das Thema plötzlich brandaktuell. Nicht für die deutsche Friedensforschung, die in ein weithin hörbares Schweigen ausbrach, wohl aber für die politische Öffentlichkeit. Denn es mussten ja Entscheidungen getroffen werden: Wie reagiert Deutschland auf den Terror und auf den „Krieg gegen den Terrorismus“, den der amerikanische Präsident sofort ausgerufen hatte? Ich habe dazu mehrfach Stellung bezogen und in einem Buch den vielen geantwortet, die sich zu Kritik, Zustimmung, vor allem aber zu Fragen veranlasst sahen.

Herfried Münkler, ein Wissenschaftler aus der renommierten Schule Iring Fetschers, war, so weit ich sehe, der einzige deutsche Universitätswissenschaftler, der rechtzeitig und kenntnisreich in die Debatte eingriff. Seine Aufsätze gehörten zum Besten, was man nach dem 11. September 2001 lesen konnte. Jetzt legt Münkler ein Buch vor, das - dies sei gleich gesagt - zu lesen sich lohnt. An Mary Kaldor angelehnt ist der Titel „Die neuen Kriege“. Wer daraus schließen wollte, dass ihn die „alten Kriege“ nicht interessieren, irrt: Zu den Stärken des Buches gehört gerade die historische Einordnung dessen, was heute vor sich geht. Das dritte Kapitel über die „Verstaatlichung des Krieges“ im späten 17., 18. und 19. Jahrhundert gehört zu den besonders gelungenen. Münkler greift auf den Dreißigjährigen Krieg zurück, weil auch da “private oder halbprivate Gewaltunternehmer an die Stelle staatlicher Bürokratien und Kommandostäbe“ treten. Für Münkler bietet sich das dreißigjährige Morden, Plündern und Quälen besser als alle späteren Kriege „als Analyserahmen und Vergleichsfolie der neuen Kriege an“. Dafür spricht viel, nur eben: Ein Krieg blieb dieses Morden, weil große Mächte wie Österreich, Schweden oder Frankreich sich um die Vorherrschaft in Mitteleuropa stritten.

Ein anderer Vorzug des Buches: Ökonomie rangiert vor Ideologie. Münkler beschreibt, wie symmetrische Kriege zwischen vergleichbaren Armeen, Flotten oder Luftflotten inzwischen unbeschreiblich teuer geworden sind, während die Ausrüstung von einigen hundert Jugendlichen oder gar Kindern mit Kalaschnikows enorm billig ist, zumal dann, wenn die wilde Truppe ihren Unterhalt selbst erschmuggelt, erpresst oder einfach zusammenraubt. Wer sich über die Kommerzialisierung der neuen Gewalt, ihren ökonomischen Hintergrund informieren will, wird nirgendwo so fündig wie bei Münkler.

Ökonomische Gründe schlagen auch durch, wenn Warlords vorzugsweise Kinder und Jugendliche anwerben und diese sich anwerben lassen. „Mit dem Gewehr in der Hand erfährt ein junger Mann erstmals in seinem Leben, dass man von anderen Menschen respektiert wird.“ Aber es sind Frauen und Kinder, die da in Angst versetzt werden, keine feindlichen Soldaten. Zu welch unvorstellbaren Grausamkeiten gerade Jugendliche fähig sind, kann bei Münkler nachlesen, wer gute Nerven hat.

Manches Erhellende ist bei Münkler auch über den Zerfall vieler Staaten des Südens zu erfahren. Er teilt nicht die Hoffnung, die chaotische Gewalt in Afrika deute auf die schwierige Geburt neuer Staaten hin. Im Gegenteil, Staatsverfall und privatisierte Gewalt befördern und beschleunigen sich gegenseitig: Wo Staaten ihre Mindestfunktionen nicht erfüllen, wo sie die Bürgerinnen und Bürger nicht vor krimineller Gewalt schützen können, entsteht privatisierte Gegengewalt, die sich meist nicht weniger grausam gebärdet. Je heftiger sich privatisierte Gewalt austobt, desto rascher zerfällt der Rest staatlicher Autorität. Denn: „Zwischen herkömmlichem Tribalismus und postmoderner Globalisierung sind die Ansätze von Staatsbildung in den meisten Drittweltländern buchstäblich zerrieben worden. Sie hatten, anders als im Europa der frühen Neuzeit, keine Chance, sich zu entwickeln und die nötige Widerstandsfähigkeit auszubilden.“ Aber gerade beim Staatszerfall passt Münklers Terminologie offenkundig nicht. Wenn Händler in Nigeria, von einer untätigen und unwilligen Polizei frechen Räubern schutzlos ausgeliefert, dann ihre eigene Schutztruppe aufstellen, die ihrerseits wahllos Verdächtige exekutiert, ist das etwa Krieg? Oder ist es einfach privatisierte Gewalt?

Münkler wusste sehr wohl, dass es Einwände gegen seine Terminologie gibt. Er hat es vorgezogen, darauf nicht einzugehen. Das ist umso mehr der Mangel des Buches, als die Fakten, die er kenntnisreich ausbreitet, nur selten dafür sprechen, dass es sich hier um Krieg handelt. Wer den Begriff des Krieges so überdehnt wie Münkler, kann dann auch nichts einwenden gegen George W. Bushs „Krieg gegen den Terrorismus“, der ein paar wirkliche Kriege gegen Staaten großzügig einschließt. Münkler übernimmt Bushs Terminologie, obwohl er offenbar seine Politik nicht schätzt.

Dieser Widerspruch zeigt sich am Schluss des Buches, wenn Münkler die Strategien der Europäer und Amerikaner gegen den Terror vergleicht.

“Die Strategie der Europäer im Kampf gegen den internationalen Terrorismus besteht darin, durch die Wiederherstellung von Staatlichkeit (…) die Verwurzelungsmöglichkeiten für terroristische Netzwerke systematisch zu minimieren und auf diese Weise die Existenz- und Operationsbedingungen von Terroristen zu beschränken. Die Amerikaner setzen dagegen offenbar auf einen lange dauernden, womöglich permanenten Krieg gegen terroristische Organisationen. Ob ein solcher Krieg sich gewinnen, das heißt erfolgreich beenden lässt, ist mehr als zweifelhaft.“

Münkler zieht aus guten Gründen die europäischen Strategie vor: Erhaltung und Wiederherstellung von Staatlichkeit, des staatlichen Gewaltmonopols. Er zweifelt an Sinn und Erfolg des Krieges gegen den Terrorismus. Aber Politik ist Benennungshandeln. Der europäischen Strategie entspricht das Reden von privatisierter, kommerzialisierte, krimineller Gewalt, der amerikanischen das von den neuen Kriegen.

Für privatisierte Gewalt sind Polizei und Justiz zuständig, manchmal muss ihnen das Militär helfen. Kriege sind nun einmal Sache des Militärs. Was das bedeutet, lässt sich am „Krieg gegen den Terrorismus“ studieren.

Herfried Münkler: „Die neuen Kriege“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2002. 272 Seiten, 19,90 EUR

Erhard Eppler ist SPD-Vordenker und hat zahlreiche Bücher publiziert. Zuletzt erschien im Mai der vorzügliche Band „Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt“ (Suhrkamp, 9 EUR).

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