Blau liegt vor Magenta

Der deutsche Radsport besteht längst nicht mehr nur aus dem Team Telekom. Deshalb startenheute Uwe Peschel und Michael Rich vom Team Gerolsteiner beim WM-Einzelzeitfahren in Zolder

von SEBASTIAN MOLL

Einmal im Jahr, bei Weltmeisterschaften, streifen die Radprofis die Trikots ihrer Sponsoren ab und kleiden sich in den Farben ihres nationalen Verbandes. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) tritt bei der WM in Zolder, die am Dienstag begonnen hat, in zurückhaltendem Blau-Weiß auf. Für die beiden Zeitfahrer im BDR-Aufgebot ist das keine nennenswerte Umstellung. Michael Rich und Uwe Peschel gehören dem Team Gerolsteiner an – und das fährt ebenfalls in Blau-Weiß. Das BDR-Blau ist zwar ein wenig heller als das Mineralwasserblau von Gerolsteiner, ansonsten müssen sich Rich und Peschel bei der Farbgebung ihrer Kunstfaseranzüge für das heutige Zeitfahren jedoch kaum umstellen.

Es ist das erste Mal seit langem, dass bei einem Zeitfahren kein Telekomfahrer im BDR-Blauweiß steckt. Noch im vergangenen Jahr gewann der damalige Telekompedaleur Jan Ullrich Gold im Kampf gegen die Uhr, bei den Olympischen Spielen in Sydney war es Silber. In diesem Jahr ist der Merdinger aus Rostock gesperrt, verletzt – und immer noch ohne Vertrag. Sein Kronprinz bei Telekom, Andreas Klöden, ebenfalls BDR-Zeitfahrer in Sydney, ist die gesamte Saison über nicht recht in Tritt gekommen.

Als Lückenbüßer wollen Rich und Peschel dennoch nicht gesehen werden, immerhin haben beide ebenfalls schon WM-Medaillen im Zeitfahren gewonnen: Peschel war 1995 Dritter, Rich 2000 Zweiter. Und auch in diesem Jahr sind beide eine starke Saison gefahren: Peschel gewann gerade den Grand Prix des Nations im Zeitfahren gegen die komplette Weltelite, Rich hat das Zeitfahren bei der Deutschland-Rundfahrt gewonnen, gemeinsam siegten sie beim Paarzeitfahren in Karlsruhe, wo immerhin auch Tour-Sieger Lance Armstrong am Start war.

Beide kommen also für eine WM-Medaille in Frage und entsprechend selbstbewusst sind sie ins belgische Zolder gefahren. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Klöden in den vergangenen zwei Jahren in einem Zeitfahren vor mir war“, sagt Rich, auf den Telekom-Jungstar angesprochen, fast pampig. Und zu Jan Ullrich: „Wenn er in Form wäre, gäbe es ja noch einen dritten Startplatz für ihn.“ Die beiden Gerolsteiner fahren zu Recht zur WM, das wollen sie klargestellt haben – und nicht etwa, weil Telekom in der Krise steckt.

So kam selbst BDR-Vizepräsident Olaf Ludwig in diesem Jahr an der Nominierung der beiden nicht vorbei, ganz anders als beispielsweise bei den Olympischen Spielen in Sydney, als fast ausschließlich Telekoms für Deutschland an den Start gehen durften. Das brachte Ludwig seinerzeit heftige Kritik ein, weil er neben seinem BDR-Amt ja auch noch Pressesprecher bei Telekom ist. Doch die Gerolsteiner sind nicht nachtragend: „Da war halt alles auf Ullrich und Zabel ausgerichtet. Ich war ein Grenzfall und man hätte so oder so entscheiden können“, sagt Michael Rich. Er fand sich damit ab, dass im Zweifel gegen ihn entschieden wurde, fuhr statt nach Sydney zur WM in Frankreich – und wurde dort Zweiter.

Die Zeiten, in denen im Zweifel pro Telekom entschieden wird, sind nun jedoch anscheinend vorbei. Von den 23 Elitefahrern bei der WM fahren nur noch elf im Alltag in Magenta – weniger als die Hälfte. Grund genug, auch die BDR-Funktion des Telekom-Mannes Ludwig zu überdenken. „Ich habe persönlich nie erlebt, dass er parteiisch entschieden hat“, sagt Gerolsteiner-Teamchef Michael Holczer zurückhaltend. Sogar für die Entscheidung, seinerzeit Ludwig das Amt zu geben, hat Holczer Verständnis: „Das ist aus der Monopolstellung von Telekom heraus entstanden.“ Diese, so Holczer, sei nun jedoch vorbei und deshalb werde man auch über die Machtverhältnisse im Verband neu nachdenken müssen.

Die Machtverhältnisse auf der Straße jedenfalls sind in diesem Jahr ins Wanken geraten. Gerolsteiner hat 29 Saisonsiege eingefahren, Telekom erst 28; 16 davon gingen auf das Konto von Erik Zabel. Weshalb Holczer zumindest dessen Hegemonie im deutschen Radsport nicht in Frage stellt. Seinen eigenen Mann im Straßenrennen am Sonntag, Olaf Pollack, nennt Holczer die „zweite Spitze“ – hinter Zabel. Immerhin, eine zweite Spitze ist mehr als ein Helfer. Gerolsteiner lauert, das wird auch in dieser Wortwahl deutlich.