piwik no script img

Ganz unerwartet groß

Ein dürrer Mann, der das Rumpelstilzchen spielt: Der Musiker Richard Hall, den alle Moby nennen, verwandelte am Samstagabend das Publikum der Berliner Arena in eine einzige große Gemeinde

von DIRK KNIPPHALS

Man war ja vorgewarnt. Schau ihn dir genau an, so wurde einem geraten, du wirst sehen, er ist beim Konzert genau so, wie du ihn von Videos und Fotos her erwartest. Etwa genauso wie auf dem Cover von „Play“, seinem vorletzten Album: In Turnschuhen und offenem Hemd springt er da wie ekstatisch durch die Luft (um auf der Rückseite sofort die Inszeniertheit dieses Fotos auszustellen). Ein dürrer Mann, der das Rumpelstilzchen spielt. Ein netter Verrückter, der auf Derwisch macht. Und doch …

Es ist dieses „Und doch“, auf das man bei Gesprächen über den Musiker Richard Hall, den sie alle Moby nennen, immer wieder stößt. Etwas wie freundliche Resignation steckt in diesen zwei Wörtern: Egal was er macht, man muss ihn einfach gut und sympathisch finden. Aber die zwei Wörter enthalten auch schiere Verwunderung über dieses Weltwunder des Postrock: Wie gelingt diesem Menschen nur immer wieder diese Verbindung von Stilen, die sich eigentlich ausschließen? Wie kann jemand nur so gut sein? So eigensinnig und doch – mittlerweile – so mehrheitsfähig?

Wer sich jedenfalls am Samstagabend in der Berliner Konzerthalle namens Arena eingefunden hatte, kann Zeugnis ablegen von einer Verwandlung. Es war nicht anders, als zu erwarten war, und doch war es ganz unerwartet groß. Aus einem kleinen, dürren, glatzköpfigen Veganer wurde für zwei Stunden der master of the musical universe. Aus vielleicht 6.000 bunt zusammengewürfelten Menschen – Jungpunkern, Sparkassenangestellten, Studenten – wurde eine hingerissene, die Arme schwenkende, gegen Konzertende tanzende Gemeinde. Alle hatten das Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Und noch den Schnee, der am nächsten Morgen überraschend früh im Jahr auf Berlin niederfiel, untermalte man im Kopf mit Moby-Tönen: „I’m not worried at all.“

Wie macht Moby das bloß? Viel hat die Qualität dieses Konzerts natürlich damit zu tun, dass die Verbindung von Samples und Soul eine Mischung ergibt, die, nun ja, ziemlich abgeht. Mobys wichtigste Instrumente standen denn auch links und rechts außen auf der Bühne. Links, hinter einer kleinen Burg technischer Geräte, der Herr, der für die Loops zuständig ist, für die eingesampelten kleinen Melodien, die so wunderhübsch durch Mobys Songs flirren. Er ist in der Livesituation sozusagen der Statthalter für den Technik-Nerd Moby, für dasjenige Teil seines Musikerdaseins, das ständig an Knöpfen dreht und Regler hoch- und runterschiebt, bis der Sound wirklich perfekt ist.

Rechts auf der Bühne das antagonistische Gegenstück: eine Sängerin mit großem Bauch und einer dieser noch größeren Gospelstimmen, die einen für die Dauer eines Songs wirklich gläubig machen können. Dazu eine ausgebaute, komplex arbeitende Rhythmusabteilung sowie – ein bisschen Show muss sein – drei weiß gekleidete Streicherinnen. Und meist mittendrin, machmal aber auch am Rand stehend, mal wie ein Hartgummiball über die Bühne hüpfend: Moby selbst, Herrscher über ein zusammengeklautes Reich aus Tönen, der große Zusammenmixer aus Punk und Blues, Techno, Pop und Soul. Und dabei immer für eine Überraschung gut. „In this World“, der Smash-Hit, an dem man in diesem Sommer einfach nicht vorbeikam, kam etwa in einer ruhigen, beinahe bluesigen Gospelversion. Und selbst die Lightshow hat diese Moby-typische beeindruckende Mischung aus Pathos und Selbstironie. Vielleicht ist es neben allem Sympathischen auch dies, was hier die Faszination ausmacht: das nackte, allerdings gleichsam kindlich abgefederte Machtgefühl. Was Moby gefällt in der Musikgeschichte, das nimmt er sich wie ein Spielzeug, probiert ein bisschen damit herum und baut es schließlich in sein Reich ein oder wirft es wieder weg. In der Zugabe des Berliner Konzerts erklangen sogar einige Töne aus der „Kleinen Nachtmusik“, danach – hey, warum nicht auch mal einfach? – eine schlicht nachgespielte Version des Songs „Creep“ von Radiohead.

Alles ist möglich in diesem Reich. Mobys Freiheit ist unser Glück. Unsereiner zumindest will nicht ausschließen, dass man neben allen musikalischen Qualitäten auch die plumpe Selbstvergewisserung spannend findet: Rock dein Leben, rock deinen Sparkassenjob (rock das Feuilleton, rock diesen Text) so, wie Moby die Popgeschichte rockt! Und alles wird gut.

Heute Dresden, 15. 10. Wien, 16. 10. Böblingen, 18. 10. Genf, 31. 10. München, 9. 11. Düsseldorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen