: Westafrika droht der Hunger
Der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste führt zu einer humanitären Katastrophe, die die ganze Region in Mitleidenschaftziehen könnte, warnen Hilfswerke. Besondere Sorge bereiten die drohenden „ethnischen Säuberungen“ im Regierungsgebiet
von DOMINIC JOHNSON
Die Basilika von Yamoussoukro war früher ein Symbol des Anspruchs der Elfenbeinküste, anders zu sein als der Rest Westafrikas – nämlich reich und multikulturell. Dem römischen Petersdom nachempfunden, stellte sie Félix Houphouët-Boigny, der Gründervater der Elfenbeinküste, in den 80er-Jahren in sein zur Landeshauptstadt erhobenes Heimatdorf. Jetzt holt die Wirklichkeit das Prachtgelände aus weißem Marmor ein. Hunderte Bürgerkriegsflüchtlinge kampieren auf dem Gras, geflohen von der nur wenige Dutzend Kilometer entfernten Kriegsfront zwischen Regierungstruppen und Rebellen.
Sie sind die Vorhut einer Massenflucht aus der Rebellenhochburg Bouaké, 100 Kilometer nördlich von Yamoussoukro, die seit einer Woche Ziel schwerer Angriffe der Regierungstruppen ist. Von den 600.000 Bewohnern Bouakés haben nach Angaben von Hilfswerken bis zu 150.000 die Stadt verlassen und versuchen, sich über die Kriegsfronten nach Süden ins Regierungsgebiet durchzuschlagen. Denn das Rebellengebiet der Elfenbeinküste ist von jeglicher Versorgung abgeschnitten – aus Abidjan, Wirtschaftsmetropole und Regierungssitz, kommt nichts mehr durch, weder Lebensmittel noch frisches Geld. Die Bürger Bouakés müssen mit Hunger rechnen, falls die Belagerung durch die eigene Regierung noch lange andauert.
Das ist nur eine Facette der „humanitären Katastrophe“, vor der UN-Stellen in Abidjan im mittlerweile fast einen Monate alten Bürgerkrieg der Elfenbeinküste warnen. Noch mehr Sorgen als die Flucht aus Bouaké bereitet den Hilfswerken die Fremdenfeindlichkeit aufgeputschter Anhänger der Regierung in Abidjan. Tausende Immigranten aus Burkina Faso wurden bereits vertrieben, weil das Nachbarland als Urheber der Rebellion in der Elfenbeinküste gilt.
Am 6. Oktober empfahl das ivorische Staatsfernsehen, eine halbe Million der geschätzt 2,5 Millionen Zuwanderer aus Burkina Faso im Land hinauszuwerfen. Nun bereiten sich die Nachbarländer auf einen Zustrom von Flüchtlingen vor, manche erwägen eine Militärintervention, um ihre Landsleute zu retten – etwa ein Drittel der 15 Millionen Einwohner der Elfenbeinküste stammen aus dem benachbarten Ausland.
In allen Nachbarländern – Liberia, Guinea, Mali, Burkina Faso und Ghana – prognostiziert die UN-Koordinationsstelle für humanitäre Fragen (OCHA) jetzt steigende Instabilität. „Gezieltes Vorgehen gegen westafrikanische Immigranten, vor allem die aus Nachbarländern, könnten zu massiven Zuströmen von Zivilisten in Nachbarländer führen, die die Auffangkapazizäten dieser Länder ernsthaft herausfordern würden, mit schweren Folgen für Frieden und Sicherheit in der Subregion und darüber hinaus“, heißt es im jüngsten OCHA-Lagebericht. Das UN-Welternährungsprogramm WFP warnte am Freitag, es drohe eine „humanitäre Katastrophe“ vom Ausmaß jener im Afrika der Großen Seen in den 90er-Jahren, als Millionen Menschen aus Ruanda flohen.
Früher galt Abidjan als stabilste Metropole Westafrikas und war die Basis für Hilfsaktionen in Liberia und Sierra Leone. Jetzt können die Hilfswerke sofort vor Ort arbeiten. Dabei fallen gleich mehrere Tabus, die noch 1994 in Ruanda internationale Organisationen lähmten. So kümmert sich das UNHCR um Flüchtlinge in der Elfenbeinküste von Anfang an, statt zu warten, bis sie in ein Nachbarland gezogen sind. Die OCHA sorgt sich nicht nur um die Folgen von Ausländerfeindlichkeit, sondern kritisiert diese auch. „Die Verfolgung von Zivilisten ausländischen Ursprungs geht weiter, mit ernsten Folgen für die westafrikanische Region“, schrieb die UN-Stelle am Freitag in einem Appell zum koordinierten Handeln in allen betroffenen Ländern. „Wir appellieren an die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, vernehmbar den Ruf zum Respekt von Zivilisten unabhängig von ihrem Ursprung, ihrem Glauben oder ihrer politschen Haltung zu verbreiten.“
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