: Leibesübung auf der Heide
Friedrich Jahn erfand in der Neuköllner Hasenheide das Turnen. Noch heute finden sich Spuren seiner Turnkunst. Von Jahns nationalistischer Gesinnung zum Glück weniger
Angefangen hatte alles mit der Eiche in der Hasenheide. An ihren Ästen soll Friedrich Ludwig Jahn seinen Turnern erste Reckübungen beigebracht haben. Kurze Zeit später, am 18. Juni 1811, errichtete Jahn am heutigen Volkspark Hasenheide den ersten deutschen Turnplatz. Die alte Stieleiche gibt es immer noch, den Turnplatz daneben allerdings nicht mehr. Nur die Tafel an der Eiche erinnert an den Turnvater, der 1778 in Brandenburg geboren wurde und heute vor 150 Jahren in Freyburg gestorben ist. „Hier stehst du an der Geburtsstätte des deutschen Turnens“, ist dort zu lesen.
Das Pathos dieser Sätze schwingt heute in Verbindung mit Friedrich Jahn nur noch selten mit. Seine Idee allerdings hat bleibende Spuren hinterlassen. Nicht nur bei zahlreichen Turnvereinen, Sporthallen und Schulen, die seinen Namen tragen. Auch in der modernen Form des Freizeit- und Massensports. „Neu bei Jahn war, dass alle sozialen Schichten an freien Nachmittagen zusammen auf dem Turnplatz waren“, so Michael Krüger, Professor am sportwissenschaftlichen Institut der Uni Münster. Auch Mädchen waren nicht ausgeschlossen. Heute sind 70 Prozent aller Mitglieder in Turnvereinen Frauen. Sport als Identität stiftende Freizeitbeschäftigung, das ist die eine Seite von Jahn, der auf der Hasenheide nicht nur Geräte wie Reck und Barren aufstellen ließ, sondern auch Spiele erlaubte, die die damalige „Schulzucht“ verboten hatte.
Dass es ausgerechnet mit einer Eiche anfing, mag Zufall sein. Als urdeutsches Symbol passt es zur anderen, nationalistischen Seite des Pädagogen und Politikers Jahn. Er begriff seine Leibesübungen als notwendige Vorbereitung auf den Freiheitskampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft und die Gründung eines deutschen Nationalstaats. Seine Schrift „Deutsches Volksthum“, die er während seiner Tätigkeit als Hilfslehrer in Berlin 1810 verfasste, gilt als wegweisend für die frühe Nationalbewegung.
Ein vorläufiges Ende fand Jahns Turnkunst, als er 1819 wegen „demagogischer Umtriebe“ verhaftet und wegen des „Verdachts der Mitgliedschaft in geheimen, hochverräterischen Verbindungen“ angeklagt wurde. Seine Turnvereine wurden verboten. Erst 1842 rehabilitierte Friedrich Wilhelm IV. den Turnvater, und man durfte wieder „frisch, fromm, fröhlich, frei“ leibesüben. SUSANNE LANG
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