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„Des Turnlehrers Würken“

TurnvaterJahn wettert gegen Sparen beim Schulsport, modisch bunte Sportkleidung und überflüssige Energiedrinks. Ein historisches Gespräch zu aktuellen Fragen – zu seinem 150. Todestag

von SUSANNE LANG

taz: Herr Jahn, man hat ja lange nichts von Ihrer Turnkunst gehört. Wie kommt’s?

Friedrich Ludwig Jahn: Unbegreiflich, dass diese Brauchkunst des Leibes und Lebens, diese Schutz-und-Schirm-Lehre, diese Wehrhaftmachung so lange verschollen gewesen. Aber diese Sünde früherer leib- und liebloser Zeit wird auch noch jetzt an jeglichem Menschen mehr oder minder heimgesucht.

Sie meinen die steigende Zahl von Herz-Kreislauf-Krankheiten und stressbedingten Burn-out-Syndromen. Wie kann Turnkunst da helfen?

Die Turnkunst soll die verloren gegangene Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wiederherstellen, der bloß einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der Überverfeinerung in der wiedergewonnenen Mannlichkeit das nothwendige Gegengewicht geben und im jugendlichen Zusammenleben den ganzen Menschen umfassen und ergreifen.

Interessante Position. Im Zuge der Pisa-Diskussion wird von Experten aber gerade mehr „Vergeistigung“ gefordert.

In der neuen Zeit ist der Missbrauch eingerissen, dass man auch auf Schulen das Lernen in Hefte zwängt, wodurch blutwenig im Gedächtnis haftet, und die arme Jugend in der Schreibfrohne dem lieben Gott den Tag abschmiert. Je mehr Leben wieder in die Welt gekommen, desto weniger dürfen die Schulen am Buchstaben hangen.

An vielen Schulen wird der Sportunterricht gekürzt, da aufgrund von Sparmaßnahmen zu wenig Lehrer eingestellt werden können.

Ohne eine Turnanstalt sollte billig keine namhafte Stadt in Deutschen Landen forthin bleiben. Den Einwurf: „Es kostet was“ können nur Tröpfe vorbringen, die gern als Köpfe sputen möchten.

Lassen Sie uns bei den Lehrern bleiben. Welche Anforderungen stellen Sie an Sportpädagogen?

Unter allen Lehrern der Jugend hat ein Turnlehrer den schwersten Stand. Bei anderen Lehrern beruht das Geschäft auf Wissen und Wissenschaft, in denen beim allstündlichen und alltäglichen Betreiben von Zeit zu Zeit weitere Fortschritte zu machen sind. Des Turnlehrers Würken ist unzertrennlich von Kennen und Können. Dabei muss er sich sehr hüten und sorgfältig in Acht nehmen, dass er den kleinern Turnern kein Bild der Lächerlichkeit und Ungeschicklichkeit giebt. Größere ehren schon den guten Willen und das mühevolle Bestreben.

Viele Leibesübungen finden heute nicht mehr an Schulen, sondern in Vereinen und privaten Fitnesscentern statt.

Jede Turnanstalt ist ein Tummelplatz leiblicher Kraft, eine Erwerbschule mannlicher Ringfertigkeit, ein Wettplan der Ritterlichkeit, Erziehungsnachhülfe, Gesundheitspflege und öffentliche Wohlthat.

Erstaunlich, dass Sie das so positiv bewerten. Sie begrüßen also den Waschbrettbauchwahn und die Muskelmänner und -frauen?

Bei den Turnübungen muss sich immer eins aus dem andern ergeben, ohne Drillerei, so die freie Eigenthümlichkeit der Einzelnen durch ihr Schalten gefangen nimmt.

Heißt das, Sie befürworten reines Power-Muskel-Forming?

Die leibliche Kraft lässt es nicht dahin kommen. In solchem Zerren und Renken würde sie erlahmen und erstarren. Nur die öftere Wiederholung erzeugt die Vollkommenheit, wenn anders die Wechselwürkung anderer Übungen hinzukommt.

Fitnessstudios bieten ja durchaus Alternativen. Aerobic-Kurse zum Beispiel.

Dem Tanzen als Leibesübung kann sein Wert nicht genommen werden, es bildet den Anstand und gute Haltung; hingegen stärken die anderen Turnübungen weit mehr. Dass beide Geschlechter schon in den Kinderjahren zusammen tanzen lernen, ist gar nicht zu dulden. So wie das Tanzen gewöhnlich getrieben wird, ist es: Zerstörer der Gesundheit, Verderber der Sittlichkeit und Verführer zur Sünde.

Vermutlich sind Sie demnach auch skeptisch, was die neuste Sportmode betrifft. Sie ist durchaus freizügiger. Was empfehlen Sie?

Graue ungebleichte Leinwand ist der beste Stoff. Alle anderen Zeuge sind weniger dauerhaft und wohlfeil, und doch nicht so leicht zu reinigen. Eine grauleinene Jacke und ebensolche Beinleiber kann sich jeder anschaffen.

Klingt nach einem möglichen neuen Trend. Nike wirbt gerade mit grauen Jogahosen.

Würden Zeuge aus ausländischen Stoffen geduldet, so müssten sich die Übungen gar bald in Übungen für Reiche, Vermögende, Bemittelte, Wohlhabende, Unbemittelte, Bedürftige und Arme theilen.

Das könnte man auch auf die Ernährung übertragen. Sind die neusten Powerriegel und Eiweißgetränke nach dem Training zu empfehlen?

Auf dem Turnplatze wird nur trocken Brot gegessen und Wasser getrunken. Wem trocken Brot nicht mundet, hat keinen Hunger, und kann füglich warten, bis er nach Hause kommt. Wen Wasser nicht erquickt, hat entweder keinen Durst, oder noch nicht lange genug geturnt, vielleicht auch sich überhaupt zu wenig in freier Luft bewegt.

Ihre Schlichtheit und Konsequenz könnten bald zum neuen Fitnesstrend werden. Oder glauben Sie, dass in diesem Bereich alles gesagt ist?

Es ist noch lange nicht Alles abgehandelt, was zur Turnkunst gehört.

Man wird also bald wieder von Ihnen hören?

Solange der Mensch noch hienieden einen Leib hat und zu seinem irdischen Dasein auch ein leibliches Leben bedarf, was ohne Kraft und Stärke, ohne Dauerbarkeit und Nachhaltigkeit, ohne Gewandtheit und Anstelligkeit zum nichtigen Schatten versiecht – wird die Turnkunst einen Haupttheil der menschlichen Ausbildung einnehmen müssen.

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