: Therapie: Virchow ins Koma
Sparvorschlag der Experten: Medizinische Fakultäten von FU und HU sowie Unikliniken Charité und Steglitz sollen fusionieren. Dafür soll Virchow langfristig Unistatus verlieren. Senat will das umsetzen
von SABINE AM ORDE
Künftig soll es in Berlin nur noch ein Universitätsklinikum und eine medizinische Fakultät geben – aber die sollen etwas völlig Neues sein. Nach der „Expertenkommission zur Strukturreform der Berliner Hochschulmedizin“, die gestern ihre Empfehlungen vorgestellt hat, sollen die medizinischen Fakultäten der Freien und der Humboldt-Universität fusionieren und ein rechtlich selbstständiges Zentrum Universitäre Medizin Berlin (Zumb) bilden. Dort soll es jährlich 600 Studienanfänger in der Human- und Zahnmedizin geben.
Auch die Unikliniken sollen verschmelzen. Anders als in der Presse in den vergangenen Tagen behauptet, sollen aber bis auf weiteres alle drei Standorte der Hochschulmedizin erhalten bleiben: das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) in Steglitz, die Charité in Mitte und das Rudolf-Virchow-Klinikum (RVK) in Wedding, das ebenfalls zur Charité gehört. Langfristig aber soll das RVK in ein normales Krankenhaus umgewandelt werden. Auf einen Zeitpunkt wollte sich die Expertenkommission nicht festlegen. „Derzeit braucht die Universitätsmedizin Virchow“, sagte der Kommissionsvorsitzende Winfried Benz. Besonders die Transplantationsmedizin und das Mutter-Kind-Zentrum seien erfolgreiche Schwerpunkte des RVK.
Auch die beiden bisherigen Zahnkliniken sollen fusionieren und zum Zentrum Universitäre Medizin gehören. Die neue Zahnklinik soll am Standort der FU stehen. Zudem soll die Anzahl der Betten in der Universitätsmedizin bis zum Jahr 2010 um ein Drittel auf künftig 2.200 reduziert werden. So könne die Einsparvorgabe des Senats von jährlich 98 Millionen Euro zwar nicht bis 2006, aber bis 2010 realisiert werden. „Bis 2006 sind Einsparungen von 40 Millionen Euro möglich“, sagte Kommissionsmitglied Ingrid Nümann-Seidewinkel. Benz betonte, dass die Umorganisation „eine Tortur“ für die Hochschulmedizin sei. Mit der Neustrukturierung einhergehen müsse eine langfristige verlässliche Finanzierung. „Der Schwamm ist wirklich ausgepresst“, so Benz.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) begrüßten die Vorschläge. „Der Senat will die Grundsätze akzeptieren und nicht in Frage stellen“, so Wowereit. „Uns ist klar, dass mehr nicht eingespart werden kann.“ Aus der ursprünglichen „Blockade aus Schließungsbeschluss für Steglitz und Massenprotesten“, lobte Flierl, sei durch die Arbeit der Expertenkommission eine intelligente Lösung gefunden worden. Diese müsse nun auch umgesetzt werden.
Die Empfehlungen werden jetzt dem Wissenschaftsrat vorgelegt, der im Januar ein Votum abgeben will. Gleichzeitig wird in der Wissenschaftsverwaltung ein neues Hochschulmedizingesetz erarbeitet, das dann vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden muss. „Wir wollen noch im Jahr 2003 mit der Umsetzung anfangen“, so Wowereit. Bis dahin sollten keine Berufungen erfolgen, die nicht mit dem Konzept in Einklang stehen, sagte Benz. Es könne auch zu Personalentlassungen kommen.
Die Entscheidung für Steglitz und Mitte sei vor allem aufgrund der campusartigen Vernetzung von theoretischer und praktischer Medizin gefallen, so die Begründung der Kommission. Das neue Uniklinikum, so der Kommissionsvorsitzende, solle auf den vorhandenen wissenschaftlichen Schwerpunkten und klinischen Zentren aufbauen. „Man muss vorgefundene Stärken und Schwächen berücksichtigen.“ Schwerpunkte seien in Mitte etwa Neurowissenschaften und Erkrankungen des Immunsystems, in Steglitz Herz-Kreislauf- und Tumormedizin.
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