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Blinde Passagiere

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen zeigte gestern im Hauptbahnhof, wie schwierig die leichtesten Dinge sein können, wenn man auf sein Augenlicht verzichten muss. Ein Selbstversuch der taz bremen

Blinde Passagiere haben es schwer. Gestern öffnete der Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen Vertretern von Bahn, BSAG und Bausenat die Augen, wie schwierig die leichtesten Dinge sein können, wenn man auf sein Augenlicht verzichten muss. Am „Aktionstag der Blinden“ waren Interessierte zum Selbstversuch geladen. Die Aufgabe: Sich mit Augenbinde und Taststock den Weg vom Bahnsteig durch die Bahnhofshalle zur Straßenbahn ertasten.

Am Gleis fünf geht es los. Ich setze die Augenbinde auf. In den nächsten Minuten werde ich buchstäblich im Dunkeln tappen und mich allein auf Tastsinn und Gehör verlassen müssen. Die Orientierungs- und Mobilitätslehrerin Marie-Josèphe Danthony drückt mir den Blindenstock in die Hand: „Halten Sie ihn ganz locker. Lassen Sie ihn aus dem Handgelenk vor dem Körper hin und her schwingen.“

Eben sind meine Füße noch beschwingt die Treppe hinaufgestiegen. Kaum sind die Augen verbunden, verkrampft sich der Körper jedoch. Unsicher hangele ich mich am Geländer treppabwärts, zähle 23 Stufen. Unten angekommen wende ich mich nach links und folge mit vorsichtig schlürfenden Schritten dem Taststock, der surrend vor mir hergleitet. Klappernde Absätze, Gesprächsfetzen, tapsende Hundepfoten – alles hastet an mir vorbei, dem Ausgang zu. Für mich ist schon nach wenigen Schritten Schluss: Der Stock prallt mit dumpfem Schlag gegen eine Wand. So sehr ich mich bemühe, geradeaus zu gehen – mein Linksdrall lässt mich immer wieder an den Schaufenstern der Geschäfte scheitern.

In der Bahnhofshalle verliere ich völlig die Orientierung, verirre mich zwischen Blumentöpfen und der Rückseite einer Stahltreppe, an der ich mir fast den Kopf stoße. Die Orientierungslehrerin Danthony muss helfend eingreifen. „Orientieren Sie sich an den Geräuschen, versuchen Sie herauszufinden, wohin die Leute gehen“, rät sie. Vor dem Ausgang drängt sich jemand an mir vorbei, tritt mir den Taststock aus der Hand. Hilflos stehe ich da. Keine Entschuldigung, niemand hebt den Stock auf.

Auf dem Bahnhofsvorplatz soll eigentlich ein Blindenleitsystem zur Straßenbahn führen. Meine Begleiterin hat es mir vor dem Start gezeigt: Am Boden verläuft eine Spur aus Betonplatten mit Längsrillen. Doch die sind von dem Pflaster ringsum kaum zu unterscheiden. Der Stock holpert gleichermaßen über beide Oberflächen hinweg. Schnell verliert sich die Orientierungsspur, die zudem mitten auf dem Platz plötzlich nach rechts abbiegt. „Selbst die Profis schaffen es nicht, dem Leitsystem zu folgen“, tröstet Danthony. Doch: Auch wer in der Spur bleibt, kommt nicht ohne Hindernisse ans Ziel. Ich verfange mich in Fahrrädern, pralle gegen ein Auto, das den Orientierungsstreifen zuparkt, und scheuche eine Gruppe Japanerinnen auf. Nach 15-minütiger Odyssee darf ich die Augenbinde endlich abnehmen. Fest steht: Wer eine Viertelstunde im Dunkeln tappt, bekommt einen geschärften Blick für die Probleme blinder Passagiere. Anne Ruprecht

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