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Die heimliche Superministerin

Verbraucherschutz wird laut Koalitionsvertrag zur „Querschnittsaufgabe“ der neuen Regierung. Durch ihr neues „Initiativrecht“ kann Renate Künast mit Zustimmung des Kanzlers jetzt die anderen Ressorts dazu zwingen, Verbraucherfragen zu behandeln

von BERNHARD PÖTTER

Renate Künast hat sich viel vorgenommen. Nach knapp zwei Jahren Kampf gegen die Agrarlobby kann sich die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Zukunft mit so ziemlich allen anlegen: den Wirtschaftsverbänden, der Union im Bundesrat und nicht zuletzt mit ihren Kollegen Ministern im Kabinett Schröder. Denn zum ersten Mal wird der Verbraucherschutz in der zweiten rot-grünen Amtszeit zur „Querschnittsaufgabe“.

Das heißt: „Bei Verbraucherbelangen müssen wir nun immer gehört werden“, sagt Künasts Sprecher Andreas Schulze. Und was Verbraucherbelange sind, definiert Künast: Neben den Lebensmitteln, die nach BSE- und MKS-Skandalen in aller Munde waren, sind das nach Ansicht der Ministerin und der Verbraucherverbände auch Dienstleistungen wie Bankservice, irreführende Werbung, Haftungsfragen bei Produkten, die neuen Bahnpreise, Fusionen von Gas- und Stromkonzernen. Weil das alles irgendwann beim Verbraucher landet, ist Künast nun eine heimliche Superministerin. Ihr Instrument: das „Initiativrecht“ im Bundeskabinett. Das bedeutet: Wenn Künast ein Thema für verbraucherrelevant erklärt, kann sie ihre Kollegen dazu bringen, sich zu dem Thema zu äußern. Abstimmen muss sie sich dabei mit dem Kanzleramt. Bekommt sie dort grünes Licht, geht ein Auftrag an den zuständigen Fachminister, das umstrittene Thema aus Verbrauchersicht darzustellen. Zu höheren Bahnpreisen etwa müsste sich der Verkehrsminister etwas einfallen lassen, zu irreführenden Werbestrategien der Wirtschaftsminister.

Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung stärkt Künast massiv den Rücken. „Verbraucherschutz ist eine Querschnittsaufgabe“, heißt es da, was sich im Initiativrecht niederschlägt. „Wir messen dem Verbraucherschutz in allen Politikbereichen einen herausragenden Stellenwert bei“, schreiben Grüne und SPD. Eine „verbraucherpolitische Gesamtstrategie“, ausgerichtet an den Zielen der Nachhaltigkeit, soll es geben, und einen „Aktionsplan Verbraucherschutz“. Ab 2004 soll jährlich dazu in einem „Fortschrittsbericht“ Stellung bezogen werden. Ein neues Verbraucherinformationsgesetz soll den Kunden auch Auskunftsrechte gegenüber den Unternehmen geben, und die Stellung der Stiftung Warentest soll gestärkt werden.

„Wahlfreiheit und Transparenz“ müsse für die Kunden bei genmanipulierten Lebensmitteln gelten, fordert die Vereinbarung. Passend dazu wird die Entscheidung über Freilandversuche mit Genpflanzen aus dem Gesundheitsministerium in Künasts Haus verlagert. Umweltverbände forderten denn auch gleich, Verbraucher müssten „nicht nur Wahlfreiheit haben, sondern sollten auch vor den Risiken von Genfood geschützt werden“. Der Verbraucherschutz scheine ein „Lichtblick“ in dem Papier zu sein, erklärte Heinz Laing von Greenpeace. „Wir werden die Regierung an ihrer Aussage messen, Verbraucherschutz zur Richtschnur ihrer Entscheidungen zu machen.“

Lob kam gestern auch vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Es sei ein „entscheidender Fortschritt“, dass Verbraucherinteressen künftig das erste und nicht wie bisher das letzte Wort haben sollten, erklärte vzbv-Sprecher Christian Fronczak. Nun müsse sich in der Realität zeigen, ob es etwa zu einem wirksamen Verbraucherinformationsgesetz komme und ob bei Themen wie der Liberalisierung des Strom-, Gas- und Telefonmarktes und bei Finanzdienstleistungen die Rechte der Kunden gestärkt würden. „Schließlich gibt es kaum ein Thema, das ohne Verbraucherbelange ist“, so Fronczak.

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