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Talken statt Pulen

Die Globalisierung kennt kein Pardon vor den Krabbenfischern: Die Schifffahrtsdirektion will Englisch zum Standard im Funkverkehr machen. „Sowas können sich nur Schreibtisch-Täter ausdenken“

Krabbenfischer Stelling ist ziemlich perplex. Englisch? Mutt dat sin?

Für Krabbenfischer Uwe Stelling (52) ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Seit 30 Jahren schippert er auf der Jagd nach Schalentieren mit seinem Kutter die Küste zwischen Weser und Elbe entlang – ein vielbefahrenes, aber ergiebiges Fanggebiet. Will er die Schifffahrtsrinne kreuzen oder gar im Fahrwasser fischen, funkt der Platt-Snacker die Revierzentrale in Cuxhaven an – auf Hochdeutsch natürlich: „Das klappt wunderbar.“

Jetzt aber schlägt die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) in Aurich vor, sich „internationalen Standards anzugleichen“ und Englisch zur Standardsprache im Küsten-Funkverkehr zu erklären. „Eine einheitliche Sprache macht den Verkehrsablauf sicherer“, wirbt Nautiker Bernhard Litmeyer. Krabbenfischer Stelling, der in seiner Schulzeit ganze zwei Jahre Fremdsprachenunterricht hatte, ist ziemlich perplex. Krabbenpulen kann er prima – aber Englisch? Mutt dat sin? Stelling: „Kann ich nicht.“

Äußerst reserviert steht dem Vorschlag aus Aurich auch der Sprecher der Erzeugergemeinschaft Weser-Ems gegenüber, dem Zusammenschluss der 38 Krabbenfischer in der Gegend. Denn per UKW-Funk informiere die Revierzentrale nicht nur regelmäßig über Tidenstände, Windrichtung, Langsamfahrstrecken und Sperrungen, sondern auch über mögliche Hindernisse.

Bei Nebel und beim Kreuzen der Fahrrinne gebe die mit Radar ausgestattete Funkzentrale sogar ganz präzise Fahranweisungen. Dirk Huck weiß, dass Fischer Stelling nicht der einzige ist, der nicht so gut talken kann: „Wenn einer die Anweisungen nicht versteht, geht das bestimmt in die Hose.“

Ausgelöst hat den Streit um die sogenannte „Reviersprache“ die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO). Die hatte vor einem Jahr ihren Mitgliedsländern empfohlen, im Funk-Verkehr zwischen den Leitstellen an Land und den Schiffen auf See nur noch ein aus 2.500 englischen Phrasen bestehendes Standard-Vokabular zu benutzen. Nach dem Willen von Litmeyer und seinen Kollegen sollen die Verkehrszentralen dabei „mit gutem Beispiel vorangehen“. Beim Bundesverkehrsministerium hat die WSD bereits beantragt, die Seeschifffahrtsstraßenverordnung, die bislang Deutsch als Reviersprache festlegt, zu ändern – „eine abartige Idee“, wie Wachleiter Alfred Rabin aus der Revierzentrale Bremerhaven findet: „Da sitzen irgendwelche Leute ohne Praxis am grünen Tisch und denken sich sowas aus.“

Nautiker Litmeyer schießt zurück. Die WSD habe alle betroffenen Verbände zu einer Anhörung eingeladen. Die vehementen Kritiker der Sprach-Reform, Fischer und Sportbootvereine, seien jedoch nicht erschienen. Litmeyer versteht die ganze Aufregung nicht. Schließlich würden die Wachmeister in den Revierzentralen bereits heute auf Anforderung Englisch reden – etwa mit ausländischen Schiffen. „Probeweise“ habe man zudem bereits vor zwei Jahren die stündlichen Lagemeldungen umgestellt: Die rauschen seither erst auf Englisch und dann auf Deutsch über den Äther – und zwar problemlos.

Also werde nur auf dem Papier nachvollzogen, was längst Realität sei. „Die geplante Änderung hat nicht zur Folge, dass wir mit deutschsprachigen Schiffen auf Englisch kommunizieren werden“, beruhigt er. Und bis auf ein paar unzufriedene Mitarbeiter in den Verkehrszentralen, ist er sich sicher, sei „alle Welt dafür“.

Das Bundesverkehrsministerium, das über den Vorschlag aus Aurich entscheiden muss, hält sich bedeckt. An eine Änderung der Seeschifffahrtsstraßenverordnung, heißt es dort, sei nicht gedacht. Lediglich die 2.500 englischen Standard-Phrasen sollen „sukzessive“ eingeführt werden. Also doch Englisch als Muss? „Von Müssen kann keine Rede sein“, sagt Sprecher Michael Zirpel: „Das wird die Praxis ergeben.“

Armin Simon

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