: „Ich hab da einen Filmriss“
Exboxweltmeister Rocchigiani steht mal wieder vor Gericht. Weil er einem freundlichen Polizisten auf die Nase schlug. Die Richterin hat ein Einsehen mit dem Mann in schwieriger Lage: Bewährungsstrafe
von KIRSTEN KÜPPERS
Er stand allein auf einer Straße irgendwo im Berliner Winter, es war dunkel und kalt, und er war schon ziemlich betrunken von dieser langen, alkoholreichen Nacht, als den ehemaligen Boxweltmeister plötzlich ein unbändiges Schlafbedürfnis überfiel. Wenig später erreichte die Polizei an jenem 16. Dezember letzten Jahres der Anruf einer hilflosen Frau aus Steglitz. Ein fremder Mann sitze auf dem Beifahrersitz ihres Wagens. Er wolle nicht aussteigen. Einfach so sitze der Mann da und schlafe. Wie er dahingekommen ist, kann sie nicht sagen. Die Polizei schickte einen Streifenwagen los.
In der Verhandlung gestern vor dem Amtsgericht sagt der 38-jährige Boxer Graciano Rocchigiani nun, dass es ihm Leid tut. Die Sache mit dem Auto und alles, was danach geschah. „Ich weiß nicht, was passiert ist, ich hab’ da einen Filmriss“, sagt er und zieht sein Gesicht breit, guckt ein bisschen reuevoll und traurig. Er weiß, dass es besser ist, jetzt so zu gucken. Es geht um viel. Graciano „Rocky“ Rocchigiani hat einen Polizisten mit der Faust ins Gesicht geschlagen und eine Polizeibeamtin beleidigt. Angeklagt ist er wegen fahrlässigem Vollrausch. Mit bis zu fünf Jahren Gefängnis kann das geahndet werden. Die fünf Jahre könnten zu der einjährigen Haftstrafe dazukommen, die er gerade schon in der Justizvollzugsanstalt Tegel verbüßt.
Dabei ist für Rocchigiani jetzt wirklich nicht die Zeit, um im Gefängnis zu sitzen. Kürzlich hat ihm ein New Yorker Gericht mehr als 30,3 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen. Rocchigiani hatte gegen den Boxweltverband geklagt, der ihm seinen 1998 gewonnenen Weltmeistertitel im Halbschwergewicht nachträglich aberkannt hatte. Rocky ist nach New York geflogen. Er hat den Prozess gewonnen. Er will jetzt weiter trainieren. Er will boxen. Er hat Geld und eine neue Freundin. Er will nicht im Gefängis versauern.
Den Polizeibeamten kam der schlafende Mann im Auto an jenem 16. Dezember bekannt vor. Rocchigiani gehört zu den großen Boxern der Welt. Er steht häufig in der Zeitung, nicht nur wegen seiner sportlichen Leistungen, sondern wegen anderer Geschichten. Wegen der Scheidung von seiner Frau, weil er einen Hausmeister verprügelt hat, weil er ohne Führerschein losgefahren ist, weil er seinen Mercedes betrunken in einen Straßengraben gesetzt hat. Und es ist ja nicht so, dass man in diesem Land seine Prominenten nicht ehrt.
„Wir wollten Rocky eigentlich nach Hause fahren“, erklärte einer der Polizisten gestern der Richterin. Der Boxer habe aber unbedingt in dem Wagen weiterschlafen wollen. Es kam zu einem Handgemenge. Rocky schlug dem Beamten aufs Nasenbein, die Kollegin beschimpfte er als „Mistfotze“. Ein Verhalten, das Folgen nach sich ziehen musste.
Auch Rocchigiani hat das erkannt. Bereits kurz nach der Tat ist er auf die Polizeiwache gegangen und hat sich entschuldigt. Genutzt hat es nichts. „Ich bin schockiert, dass ich für meine Freundlichkeit die Faust ins Gesicht bekomme“, meinte der Polizist gestern im Prozess. Rocchigiani argumentierte dagegen mit seinem Rauschzustand. Er sei an jenem Tag auf einer Boxveranstaltung gewesen. Sein Rivale Dariusz Michalczewski hatte im Ring gestanden. Danach hätte er mit Freunden Bier und Whisky-Cola getrunken: „Es war wohl zu viel.“
Die Richterin zeigt sich verständig. Sie verurteilt Rocchigiani zu vier Monaten auf Bewährung und einem Schmerzensgeld von 1.500 Euro für den verletzten Polizisten. In der Urteilsbegründung heißt es, dass der Boxer damals in einer schwierigen persönlichen Lebenssituation gewesen sei.
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