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Blues für die Verfassung

Kein Grund zum Gesundbeten: Anders als Springsteen und Young blicken die meisten US-Songwriter auch nach „9/11“ so skeptisch auf ihr Land wie zuvor. Ein Rundblick über aktuelle Wortmeldungen

von JÖRG FEYER

Darf man das flapsig „schlechtes Timing“ nennen? Am Abend des 10. September 2001, ausgerechnet, kamen in Tucson, Arizona, vier gestandene und sehr unterschiedliche US-Songwriter zusammen – gut gelaunt und voller Erwartung hinsichtlich der ersten gemeinsamen Studioarbeit. Doch das, was am nächsten Morgen zum Frühstück über den Fernseher flimmerte, hatten sie zum Auftakt ihrer Session gewiss nicht erwartet. Einen schnellen Song zur Attacke auf die Twin Towers zu schreiben, das konnten sich Terry Lee Hale und Todd Thibaud, Joseph Parsons und Chris Burroughs aber verkneifen. Lieber erarbeitete das Quartett, das sich den Bandnamen „Hardpan“ gab, gemeinsam eine Hommage an den „Tucson Sky“, die nun auf ihrem gleichnamigen Album erscheint. Ist das schon Eskapismus? Oder doch nur gesunder Selbstschutz?

David Gray hingegen ward „in der Hitze des Moments“ tatsächlich in Versuchung geführt. Aber nur kurz. „Ein paar Tage später, als ich mir den Song noch einmal anhörte, dachte ich nur: Wie lächerlich!“ Er sei, so erkannte der Brite, der vor zwei Jahren mit seinem Album „White Ladder“ auch in den USA den späten Durchbruch zum großen Publikum geschafft hatte, einfach „zu nah an etwas zu Großem“ dran gewesen. „Let’s Roll“ von Neil Young, der damit flugs auf die Schwingen der mutigen Passagiere sprang, die das vierte Flugzeug zum vorzeitigen Absturz brachten, ist für Gray schlicht „eine musikalische Gräueltat“. Überhaupt sei es „geschmacklos, wenn Songschreiber sich in der Tragödie und Tiefe dieses entsetzlichen Ereignisses suhlen“. Doch jetzt, wo sein neues Album „A New Day at Midnight“ erscheint, muss er sich doch mit einfältigen Journalisten rumschlagen, die hinter einem persönlich motivierten Song wie „Dead in The Water“ gleich wieder die große Katastrophe wähnen. Genauso wie diese Welt „im Prinzip der gleiche brutale Ort wie zuvor auch“ geblieben sei, sagt Gray, so handele doch „nach dem 11. September alles auf die eine oder andere Art und Weise davon“.

Kollege Jackson Browne drückt sich diplomatischer aus, meint aber im Prinzip dasselbe. Nämlich dass es „unvermeidlich sei, irgendwie daran zu rühren“, er sich aber „nicht gefordert sah, spezifischer darüber zu schreiben, als ich es getan habe“. Sein neues Album trägt den Titel „The Naked Ride Home“, was sich ja durchaus auch als politische Metapher interpretieren ließe: George Bush, ein König ohne Kleider, auf Irrflug in der Air Force One? Ein Song über 9/11, so der 54-jährige Kalifornier, bleibe „immer ein Song, der sich nur darauf bezieht. Das wäre doch sehr limitiert. Es gibt doch so viel an diesem Ereignis, das schon lange vorher passiert ist – und künftig noch passieren wird.“ Zudem drohe „immer die Gefahr, dass der Gegenstand dabei herabgesetzt wird“.

Auf Alben wie „Lives in The Balance“ hatte Browne in den 1980ern noch explizit die Mittel- und Südamerikapolitik der Reagan-Administration attackiert, bevor er nach einer auch auf dem von ihm einst besungenen „Boulevard“ ausgeschlachteten Trennung von der Schauspielerin Daryl Hannah („Blade Runner“, „Wall Street“) mit „I’m Alive“ (1993) den romantischen Skeptizismus seines stilprägenden Frühwerks fortschrieb. Auch „The Naked Ride Home“ knüpft über weite Strecken dort an, wenngleich sich der Flamenco- Freund in „Casino Nation“ noch einmal einen bitter-resignativen Bericht zur Lage der Nation abringt, die – nicht eben originell – von einem „cowboy mogul“ zwischen Entertainment- und Waffenwahn dirigiert wird. Browne: „So wie ich einige der damit verbundenen Themen hier einfließen ließ, so möchte ich das heute tun.“ Und was hält er vom „Schlachtruf“ (Gray) seines alten Buddys Neil? „Natürlich kann ich mich auch mit einem Song identifizieren, in dem es ‚Let’s roll for justice‘ heißt. Aber vielleicht verstehe ich darunter etwas anderes als viele andere Leute.“ Sagt er und lacht.

So musste Steve Earle gerade mit „Jerusalem“ das Album veröffentlichen, das Jackson Browne vielleicht vor 15 Jahren gemacht hätte. Danny Goldberg, sein Labelchef, hatte ihm schon lange vor 9/11 ein dezidiert politische Arbeit nahe gelegt (was Labelchefs ja auch nicht alle Tage tun), doch Earle haute der Vorschlag „nicht vom Hocker“. Denn „meine Politik“ fließe ja „ohnehin immer mal in meine Musik ein“. Ist nicht Kunst und der Kampf um ihre Integrität „an sich immer schon politisch“? Und gibt es nicht genug schlechte Beispiele, wo der Gang in die Arena die Kunst leiden ließ?

Doch dann saß auch Steve Earle „45 Minuten geschockt vorm Fernseher“ und fürchtete gleich, sein Engagement gegen die Todesstrafe sei nun „völlig umsonst“ gewesen (was sich zu seiner Überraschung als falsch herausstellte). Dann schrieb er „die Platte, die Danny vorgeschlagen hatte, von der ich dachte, dass ich sie nie schreiben würde. Worüber sonst hätte ich schreiben sollen? Ich tat nur meinen Job.“ Dabei (er-)löst der in Nashville residierende Texaner das Drama von Emotionsrhetorik wie US-amerikanischer Geschichtslosigkeit. Mit Verve reflektiert „Ashes to Ashes“ gleich zum Auftakt die historische Banalität, dass bisher noch jedes Imperium fiel – egal ob in der Musik, im Fußball (Earle: „Ich war schon in den 80ern Arsenal-Fan“) oder eben ganz oben. „Wer waren noch gleich die Römer?“, fragt Earle. Wozu passt, dass der US-Soziologe Richard Sennett im Spiegel Präsident Bush „Selbstgefälligkeit“ als „Form der Dekadenz“ bescheinigte. „Das scheint mir der Moment zu sein, in dem sich Amerika gerade befindet. Es verfault.“

Da musste dann Bruce ran zum Gesundbeten. „Kapitän Springsteen“ (Gray) konnte dem Ruf der Nation nicht widerstehen und überführte die kollektive Befindlichkeit auf seinem aktuellen Album „The Rising“ in eine mitfühlende Erbauungsmesse für die schweigende Mehrheit – was er, erkennt Earle an, „so gut tut, wie das sonst keiner kann“. Earle selbst dagegen „will versuchen, denen eine Stimme zu geben, die sonst vielleicht keine Stimme haben“. Denen, die im US-Gesundheitssystem buchstäblich auf der Strecke bleiben („Amerika v. 6.0“). Oder jenem jungen John Walker Lindh, der als US-Taliban gerade zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Im schon vorab heftig diskutierten „John Walker Blues“ fühlt Earle die Perspektive eines gebildeten, verzweifelten Twens nach, der im Koran den Sinn sucht, den er in der Fast-Food-MTV-Kultur am amerikanischen Frühstückstisch nicht finden konnte. Und der dann auch noch die plötzliche Trennung seiner Eltern samt spätem Coming-out des Herrn Papa verkraften musste. „Twisted Ballad honours Tali-Rat“ titelte da schon vorab in (schein-)heiliger Empörung die New York Post. Und Earle ist es „eine besondere Genugtuung“, dass ihn gar das Wall Street Journal „unpatriotischer Umtriebe“ zieh. Zwei Dinge, so Earles Prognose, werden überleben, sollte auch das US-Imperium dereinst in sich zusammenfallen. „Rock ’n’ Roll und die Verfassung. Nachdem alles in Schutt und Asche liegt, werden Leute kommen und feststellen: Hey, da standen ja wirklich ein paar gute Dinge drin.“

Dem dürfte auch der Verfassungspatriot Jackson Browne, der „unter Gerechtigkeit nicht den Kurs versteht, den mein Land und seine Regierung gerade steuert“, wohl beipflichten. Seine ganz große Wahrheit über die US of A aber (ver)steckt (sich) in einer Hommage an „Sergio Leone“, die virtuos mit Filmzitaten und einem Verdi-Sample spielt. „He came round here with his camera and some of his American friends“, singt Jackson Browne, „Where the money is immortal and the killing never ends“. Das war schon vor dem 11. September 2001 richtig. Und ist es danach erst recht.

Hardpan „Hardpan“ (Blue Rose/InAkustik); David Gray „A New Day At Midnight“ (iht/eastwest, 28. 10.); Jackson Browne „The Naked Ride Home“ (Elektra/eastwest); Steve Earle „Jerusalem“ (E-Squared/Artemis/Sony)

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