: Geschäfte mit der Ressource Mensch
Für die Suche nach krankheitsauslösenden Genen und die Entwicklung von Medikamenten wird eine große Anzahl vonBlut- oder Gewebeproben benötigt. Spezielle Biobanken sollen der Forschung die Körpersubstanzen zur Verfügung stellen
von WOLFGANG LÖHR
Bessere Kenntnisse von den genetischen Ursachen der großen Volkskrankheiten, unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Immunerkrankungen, Alzheimer, stehen ganz oben auf der Prioritätenliste der Forschung. Wesentlicher Rohstoff für die Forscher sind dabei Gewebe- und Blutproben der Patienten. Die Hoffnung ist, dass diese Kenntnisse eines Tages zur Entwicklung von neuen Therapien oder Medikamenten führen werden.
Doch umstritten ist, wann und unter welchen Bedingungen Forscher überhaupt Körpersubstanzen nutzen dürfen: Muss der Patient vorab sein Einverständnis gegeben haben? Dürfen die Gewebeproben weiterverkauft werden? Ist der „Spender“ an Gewinnen und Lizenzgebühren zu beteiligen oder muss er leer ausgehen, während Forscher und Pharmaunternehmen eventuell satte Gewinne einfahren?
Der Bedarf ist riesig. Zwar werden nur wenige Mikrogramm an Körpersubstanzen benötigt, um das daraus gewonnene Erbmaterial nach Abweichungen und Auffälligkeiten durchzuforsten oder ein Muster der gewebespezifischen, aktiven Gene erstellen zu können. Doch um fündig zu werden, muss unter Umständen eine große Anzahl von Gewebeproben analysiert werden. Damit die Forscher sich nicht selbst auf die mühsame Suche nach geeigneten Gewebespendern machen müssen, werden weltweit spezielle Biobanken eingerichet.
Vorreiter war das isländische Biotech-Unternehmen deCode. Ein vom isländischen Parlament Althingi 1998 verabschiedetes Gesetz über eine Gesundheitsdatenbank räumte dem Biotech-Unternehmen einen exklusiven Zugriff auf alle Gesundheitsdaten und archivierten Gewebeproben der gesamten isländischen Bevölkerung ein.
Erst nachdem das Vorhaben eine Protestwelle in Island auslöste – unter anderem sprach sich die Ärztevereinigung gegen die Datenbank aus –, wurde den 286.000 Isländern ein Widerspruchsrecht zugestanden. Sind sie mit der Erfassung und Nutzung ihrer Daten nicht einverstanden, müssen sie schriftlich widersprechen. Liegt kein Widerspruch vor, so sind Ärzte und Kliniken laut Gesetz dazu verpflichtet, die Daten an die Gesundheitsdatenbank weiterzuleiten.
Mittlerweile hat deCode in seiner Biobank Körpersubstanzen von rund 60.000 Isländern eingelagert. Für rund 50 Euro je Blutprobe soll die Forschungsabteilung des Schweizer Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche beliefert werden.
Einen zweiten, millionenschweren Vertrag hat deCode vor wenigen Wochen mit dem US-Pharmamulti Merck abgeschlossen. Bis zu 90 Millionen US-Dollar will Merck für die erfolgreiche Suche nach einem Dickmacher-Gen bezahlen. Sollten eines Tages aus den Forschungskooperationen neue Medikamente hervorgehen, so das Versprechen von deCode, werden diese der isländischen Bevölkerung kostengünstig zu Verfügung gestellt.
Inzwischen hat deCode zahlreiche Nachahmer gefunden. BiobankUK heißt das Vorhaben in Großbritannien. 500.000 Patienten sollen von ihren Hausärzten dazu überedet werden, ihre DNA der Biobank zur Verfügung zu stellen. Für die Suche nach krankheitsauslösenden Genen sollen die DNA-Daten mit der Krankengeschichte sowie dem aktuellen Gesundheitszustand der Patienten verknüpft werden und sowohl der privat als auch der öffentlich finanzierten Forschung zur Verfügung gestellt werden.
Finanziert wird das Projekt vom Medical Research Council und dem Wellcome Trust, einer Stiftung zur Unterstützung der Forschung. Der Wellcome Trust hatte schon bei dem weltweiten Projekt zur Sequenzierung des menschlichen Genoms eine zentrale Rolle gespielt. Die beiden Organisationen stellen jeweils 33 Millionen Pfund zur Verfügung. Im Unterschied zu dem isländischen Projekt legen die Briten jedoch Wert darauf, dass nur Gewebe von Patienten in die Biobank aufgenommen wird, die zuvor schriftlich ihr Einverständnis bekundet haben.
Ein vergleichbares Projekt verfolgt die estländische Regierung. Drei Viertel der 1,4 Millionen Bürger Estlands sollen in den nächsten Jahren in die Genbank aufgenommen werden. Eine gemeinsam vom Gesundheitsministerium und einer Forschergruppe der Estländischen Genom-Stiftung gegründete gemeinnützige Organisation soll die Vermarktung der Genbank übernehmen. Noch stockt das Projekt, denn die erhoffte Finanzierung durch internationale Pharmakonzerne ist nicht gesichert. Auch in Schweden, Dänemark und Kanada sind ähnliche Projekte geplant.
Auf der Südseeinsel Tonga hat sich das australische Unternehmen Autogen eingekauft. Die 100.000 Einwohner sollen das Unternehmen bei der Erforschung von Diabetes und Dickleibigkeit unterstützen. Auch hier sollen als Gegenleistung die aus dem Vorhaben hervorgehenden Medikamente der Bevölkerung günstig zur Verfügung gestellt werden.
In den USA sind gleich mehrere Firmen aktiv. So hat zum Beispiel das Biotech-Unternehmen Ardais im US-Bundesstaat Massachusetts mit mehreren Universitätskliniken einen Kooperationsvertrag über die Zulieferung von Gewebeproben abgeschlossen. Rund 120.000 Gewebeproben vor allem von Krebspatienten sind bereits tiefgekühlt in der Biobank von Ardais archiviert. Für durchschnittlich 1.000 US-Dollar werden die Proben an Pharmaunternehmen abgegeben.
Auch hierzulande werden Millionenbeträge für DNA-Banken mit den dazugehörenden Patientendaten bezahlt. 3,1 Millionen Euro will das Pharmaunternehmen Aventis dem Herzzentrum Ludwigshafen für den Zugang zu der hauseigenen Patientendatenbank einschließlich der eingelagerten Blut- und Gewebeproben zahlen. 3.500 Datensätze von Patienten hat das Herzzentrum seit 1997 gesammelt.
Für das mit Aventis abgeschlossene Kooperationsabkommen namens Larcom werden zusätzlich zu den üblicherweise aufgenommenen Standardangaben und Messwerten bis zu 1.600 weitere Daten pro Patient erfasst. Aventis hat so die Möglichkeit, nach Korrelationen zwischen Krankheitssymptomen und bestimmten Gensequenzen zu suchen.
Die Teilnahme an dem Forschungsprojekt ist freiwillig. In den Aufklärungsbogen für die Patienten wird zugesichert, dass außerhalb der Klinik niemand in der Lage sei, die getrennt aufbewahrten klinischen Daten mit den getrennt aufbewahrten Personenangaben zusammenzuführen. Die Anonymisierung sei auf jeden Fall gewährleistet.
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