wir lassen lesen: Eine Hymne auf den Baseball
Base-Hits mit Mrs. Robinson
Wieder einmal befand sich Marilyn Monroe in diesem euphorisch-neurotischen Meer der Gefühle. Vier Tage hatte sie ihre Flitterwochen in Japan unterbrochen, um hinter den Frontlinien des Koreakrieges vor GIs fürs Vaterland zu singen. Als sie zurückkehrte, berichtete sie stolz ihrem neuen Partner: „Nie hast du einen ähnlichen Jubel erlebt.“ Der erwiderte in aller Ruhe: „Doch, hab ich.“
Ihr Ehemann hieß Joe DiMaggio, das umjubelte Idol aller Baseballfans. Neun Titel gewann er mit den Yankees, sein ohnehin schon grenzenloser Ruhm kulminierte, als dem Centerfielder im Sommer 1941 eine Serie von „Hits“ in 56 aufeinanderfolgenden Spielen gelang – der Schlag, mit dem man sich den Weg zur ersten Base bahnt. Es war kein Zufall, dass Simon & Garfunkel ihm in den 60er Jahren mit dem Song „Mrs. Robinson“ ein Denkmal setzten; nichts konnte das amerikanische Nostalgiegefühl besser ausdrücken als die Zeile „Where have you gone Joe DiMaggio?“ Paul Simon verfasste auch, als DiMaggio vor drei Jahren starb, unter dem Titel „The Silent Superstar“ einen bewegenden Nachruf auf ihn. „Joe DiMaggio“, so lautet einer der Kernsätze, „litt darunter, Joe DiMaggio zu sein.“
Der Abgesang ist in eine Publikation namens „Baseball As America“ eingeflossen, die gemeinsam von National Geographic Society und der Baseball Hall of Fame erstellt worden ist. Dieses Werk ist in jeder Hinsicht überragend: Es enthält epische Bilderstrecken, die weit entfernt sind von stilloser Folklore. „Baseball As America“ verfügt über ein logisches Layout, das mit einem gut strukturiertem und stilistisch perfektem Inhalt korrespondiert. In etwa 80, teils historischen Texten wird erklärt, warum sich viele Amerikaner im Baseball wiederfinden. Auch dabei: Schriftsteller Walt Whitman, der „amerikanischen Dante“, der Baseball bereits 1888 zum „The National Game“ stilisierte. Oder der Aufsatz „History of Colored Baseball“ aus dem Jahre 1907, verfasst vom Captain der Philadelphia Giants, einerMannschaft der „Negro-League“.
Ausführlich wird die viel diskutierte Genese des Baseballs verhandelt. Entsprang Baseball dem englischen „Rounder“, einem Spiel, aus dem sich Cricket und das deutsche Schlagballspiel entwickelten? Oder war das Spiel tatsächlich uramerikanisch, erfunden 1839 im ländlichen Cooperstown, N. Y., von einem Helden im Amerikanischen Bürgerkrieg, Abner Doubleday? Diese eher patriotische Variante favorisierte die US-Sportmogul Spalding, der einst als Pitcher in der frühen Profiliga der 1880er-Jahre sein Geld verdiente. „Unser gutes altes amerikanisches Spiel muss einen amerikanischen Vater haben“ – und setzte 1904 eine Kommission zwecks Thesenbeweis ein. Dieses Buch klärt darüber auf, wie Spalding den von ihm bezahlten Bericht 1908 manipulierte, und dass die Wurzeln vermutlich doch im englischen Rounders liegen.
Diese Texte sind kritisch, und sie deuten an, warum Baseball oft zu einem Propagandainstrument mutierte. Als die Männer an der Front des Zweiten Weltkrieges standen, wurde aus Propagandazwecken eine Frauenliga aus der Taufe gehoben; und zu den bewegendsten Szenen nach dem 11. September gehörten jene Momente, in denen Zuschauer in vollen Baseballarenen der Opfer gedachten. Natürlich finden sich in diesem Buch einige Kapitel, die den Wert des Baseball in den USA verklären. Doch insgesamt ist die Mixtur aus Überhöhung, Pathos, Kritik und Sachlichkeit mehr als gelungen. Dieses Buch verdient Hymnen. Würde der DFB seine apologetische Schrift aus dem Jubiläumsjahr 2000 danebenlegen, ihm würde aufgehen, wie spießig, klein und qualitätsarm sein eigenes Werk dagegen wirkt. ERIK EGGERS
The National Baseball Hall of Fame and Museum & National Geographic Society (Ed.): „Baseball as America. Seeing Ourselves Through Our National Game“, Washington, D. C., 320 Seiten, 35 US-$.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen