Glaubensfrage Arbeitsplatz

Wie viele Stellen im Bereich der Kranken- oder Altenpflege Kirchenmitgliedern vorbehalten sind, ist unbekannt. Klar ist: Der Staat ist in Sachen Glauben nicht neutral

Kirchennahe Krankenhäuser besitzen teilweise regional eineMonopolstellung

Wer in kirchennahen Institutionen arbeiten will, muss Mitglied einer staatlich anerkannten Kirche sein. Dieser Grundsatz führt bis zur fristlosen Kündigung fest angestellter Arbeitnehmer, wenn diese aus der Kirche austreten. Die Vergabe von Arbeitsplätzen ausschließlich an Kirchenmitglieder gilt als verfassungsgemäß, weil den kirchlichen Trägern eine eigenständige, an religiösen Grundsätzen orientierte Organisation und Personalpolitik zugestanden wird.

Die beiden großen christlichen Kirchen üben ihre Religion nicht nur im Bereich des Glaubens aus, sondern auch durch tätige Nächstenliebe. Sogar selbstständige Vereine, die keiner Kirchenverwaltung angehören, können am kirchlichen Sozialauftrag mitwirken und dieses Selbstverständnis in einem Teilbereich verwirklichen, indem sie Beratungsstellen, Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeheime oder Schulen tragen. So ist eine Vielzahl von rechtlich völlig selbstständigen Trägern entstanden, die als kirchennah anerkannt sind.

Gegenwärtig hat niemand einen vollständigen Überblick über die Zahl dieser Einrichtungen in allen Bundesländern, die aus unterschiedlichen Quellen finanziert werden (Jugendhilfswerk, Entwicklungshilfe und so weiter). Gemeinsam ist allen kirchennahen Einrichtungen, dass sie zusätzlich zu den Dienstleistungen, für die sie gefördert werden, religiöse Inhalte verwirklichen. Dort wird keine bloße Alten- oder Krankenpflege betrieben oder Sachwissen in Schulen vermittelt, sondern zugleich eine christliche Dienstgemeinschaft kirchlicher Prägung gelebt. Von Mitarbeitern wird verlangt, dass sie dieses Selbstverständnis mittragen und durch ihre Kirchenmitgliedschaft bezeugen.

Jeder Arbeitsplatz, der ausschließlich an Kirchenangehörige vergeben wird, vergrößert die Arbeitschancen dieses Personenkreises. Theoretisch steigt die Arbeitslosigkeit unter Nichtkirchenmitgliedern in dem Maße, wie sich die Zahl konfessionsgebundener Arbeitsplätze erhöht. Es entstehen zwei Arbeitsmärkte: ein offener für alle und zusätzlich ein geschlossener nur für Kirchenmitglieder, die größere Berufschancen haben und schneller Arbeit finden. Diese Entwicklungen sind aus der Wirtschaftstheorie grundsätzlich bekannt, aber ihr tatsächliches Ausmaß nicht: Erreichen berufliche Benachteiligungen der Nichtkirchenmitglieder bereits messbare Größenordnungen oder nicht? Diese Frage sollte geklärt werden, denn es geht um Auswirkungen politischer Kirchenförderung, die verfassungsrechtlich problematisch sind. Die Mehrheit konfessionsgebundener Arbeitsplätze stammt nicht aus dem Kirchensteueraufkommen, sondern aus öffentlichen Mitteln. Kirchen der Bundesrepublik waren nie in der Lage, alle Institutionen zu tragen, die ihnen bei der Verwirklichung ihres sozialen Auftrages helfen. Das sinkende Kirchensteueraufkommen reicht kaum noch für das direkt bei Kirchen beschäftigte Personal, geschweige denn für eigenständige, kirchennahe Träger.

Der Kirchenrechtler Jörg Winter hat festgestellt, dass die Diakonie heute weitgehend in die sozialpolitischen Planungen des Staates eingebunden und in ihrer Finanzierung von Staatszuschüssen und von den Leistungen der Sozialversicherungsträger abhängig sei. In manchen Bereichen komme ihr faktisch die Funktion einer Sicherstellung staatlicher Sozialaufgaben zu.

Dabei nimmt die Mitgliedschaft in beiden großen Kirchen stetig ab: 1971 waren 92 Prozent aller Westdeutschen Mitglied einer Kirche, 1999 waren es in Deutschland nur noch 65 Prozent. In den neuen Ländern sind die Zahlen noch niedriger. Die Mittel für die sozialen Einrichtungen der Kirchen stammen also zu über einem Drittel von Nichtkirchenmitgliedern. Die Einführung der Pflegeversicherung brachte nach offiziellen Schätzungen rund 200.000 neue Arbeitsplätze – viele davon sind allein Kirchenmitgliedern vorbehalten. Dadurch stieg die Zahl konfessionsgebundener Arbeitsplätze, obwohl die Kirchenmitgliedschaft rückläufig ist.

Natürlich erbringen kirchennahe Einrichtungen auch Nichtkirchenmitgliedern Leistungen. Aber sie erbringen eben nicht nur reine Gesundheitsleistungen, sondern betreiben darüber hinaus eine kirchennahe Personalpolitik, die nicht den religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen aller Zahlenden entspricht. Auch Atheisten und andere, die aus weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung Kirchen ablehnen und mit ihren Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nur Gesundheitsleistungen finanzieren wollen – und nichts sonst –, haben ein Recht auf Schutz ihres Glaubens. Der weltanschaulich neutrale Staat hat dafür zu sorgen, dass niemand wegen antikirchlicher Anschauungen benachteiligt wird.

Die Förderung der Kirchen ist nur so lange mit dem Gebot staatlicher Neutralität vereinbar, wie die Gleichbehandlung anderer Glaubensrichtungen gewahrt bleibt. Leider entsteht der Eindruck, dass der Staat die Verpflichtung zur Neutralität nicht ernst nimmt, weil weder Informationen noch geeignete Instrumentarien bereitstehen, um Beeinträchtigungen der Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt feststellen zu können. Es besteht keine Meldepflicht für konfessionsgebundene Arbeitsplätze, die öffentlich finanziert werden, und es kann auch sonst keine umfassende Auskunft über Ausmaß oder über Auswirkungen öffentlicher Zuwendungen an Kirchen und kirchennahe Träger gegeben werden.

Die Auswirkungen politischerKirchenförderung sind verfassungsrechtlich bedenklich

Die Bundesanstalt für Arbeit verhält sich in Glaubensangelegenheiten also nicht neutral und nimmt ihre Aufgabe, die Entwicklung des Arbeitsmarktes zu beobachten, unzureichend wahr. Kirchennahe Krankenhäuser besitzen teilweise eine regionale Monopolstellung, und Arbeitslose müssen sich vom Arbeitsvermittler fragen lassen, warum sie nicht in eine Kirche eintreten, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Statt derart Druck auszuüben, müsste die Kirchenzugehörigkeit von Arbeitslosen statistisch erfasst werden, um zu prüfen, ob in den Gesundheits- und Sozialberufen oder in bestimmten Regionen mehr Nichtkirchenmitglieder arbeitslos gemeldet sind.

Wenn wirklich eine weitgehende Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden wäre, gäbe es keine signifikanten Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten in Bezug auf ihre Kirchenzugehörigkeit. Dann müssten bei Arbeitslosen und bei Lohnsteuerzahlern prozentual etwa gleich viel Kirchenmitglieder vorhanden sein. Das ließe sich feststellen: In einigen ausgewählten Regionen müssten Finanz- und Arbeitsämter bei den bei ihnen gemeldeten Personen die Kirchenzugehörigkeit feststellen. Fällt die Kirchenzugehörigkeit von Arbeitslosen deutlich geringer aus als bei Lohnsteuerzahlern, wären Verzerrungen des Arbeitsmarktes nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch nachgewiesen und Quotenregelungen oder andere Maßnahmen zur Gegensteuerung erforderlich.

REIMER W. EBEL