: Die verflixte grüne Basis
Der Parteitag startete unaufgeregt, mündete aber schließlich wieder in organisiertem Chaos. Das Parteivolk widersetzte sich den Wünschen der Spitze
aus Bremen HANNES KOCH und PATRIK SCHWARZ
Es ist längst stickig geworden in der Halle von all den Reden, Anträgen, Gegenanträgen und Probeabstimmungen, da eilt Hans Christian Ströbele zu seinen Getreuen. Auf den Lippen ein Lächeln, flüstert er: „Wir haben gewonnen!“ Andrea Fischer, politisch wie räumlich am anderen Ende des Saales, weiß auch ohne Ströbele, wie die Stimmauszählung ausgegangen ist. „Das sieht man unserem Spitzenteam irgendwie unverkennbar an“, sagt die Exministerin mit Galgenhumor. Vorn auf dem Podium, einen Meter über den Köpfen der Delegierten, vergießt Claudia Roth Tränen in die Jacketschulter von Jürgen Trittin. Der grüne Umweltminister hat einen Arm um seine Parteichefin gelegt.
Die Abgesandten der Kreisverbände wollen nicht, dass Roth und ihr Kollege Fritz Kuhn gleichzeitig das Parteiamt innehaben und im Bundestag sitzen. So nüchtern lässt sich das Ergebnis der Abstimmung über eine urgrüne Satzungsregelung beschreiben. Das „grüne Spitzenteam“, wie es sich gern nennt, sieht es anders: Für viele Monate Arbeit ernten sie die Keule, das Führungsduo Kuhn und Roth, das die Grünen zum größten Wahlerfolg ihrer Geschichte geführt hat, muss die Koffer packen, die Zukunft der Partei ist erst mal ungewiss. Minutenlang kleben die grünen Chefs und Chefinnen auf ihren Stühlen fest: Renate Künast neben Rezzo Schlauch neben Joschka Fischer, der geschlagene Vorsitzende Kuhn abseits am anderen Ende des Podiums. Während unten schon der Aufbruch der 700 Delegierten beginnt, blicken sie starr in die Menge, die man wieder einmal unterschätzt hat, die sich wieder einmal nicht kontrollieren lassen will.
Das war Samstagmittag. Am Tag zuvor hatte alles ganz anders ausgesehen. Es war eine selten professionelle und unaufgeregte Veranstaltung, niemand rebellierte gegen die Strategie des Parteivorstandes. So wünscht sich die Führungsriege ihre Grünen, denn nur so, argumentiert sie, ließen sich große Wahlerfolge erzielen.
Dass SPD und Grüne aufgrund ihrer Koalitionsverhandlung das alte Atomkraftwerk Obrigheim gegen den Atomkonsens zwei Jahre länger am Netz halten wollen, brandmarkt der grüne Umweltpolitiker Hartwig Berger zwar als „Bonusmeile für die Atompolitik“, empfiehlt der Versammlung aber trotzdem: Nehmt den Koalitionsvertrag mit der SPD an. Trittin, der über die Obrigheim-Geschichte mehr oder weniger informiert war, kommt ungeschoren davon. In einem zahmen Antrag spricht die Mehrheit ihre Missbilligung in Richtung Bundeskanzler Gerhard Schröder aus, den man zuvor als eigentlichen Schuldigen und Blitzableiter in Stellung gebracht hatte. Danach, beim Koalitionsvertrag, scheinen die Grünen zu 90 Prozent aus Realpolitikern zu bestehen.
Fehlte den Delegierten ein Ventil für ihren Unmut? Als am nächsten Tag die Grünenspitze ihre Niederlage sortiert, taucht diese Frage immer wieder auf. Dabei hat der Parteitag am Vorabend durchaus ein wenig Dampf abgelassen: Pfiffe hallen plötzlich in die Lobby, die smalltalkende Basis drängelt sich zurück in den Saal. Dort hängt Bonusmeilenflieger Rezzo Schlauch mit ausgestellten Ellbogen über dem Mikrofon, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, auf alles gefasst. Er demütigt sich vor dem Parteitag durch eine abermalige Entschuldigung: „Ich habe einen bedauerlichen Fehler gemacht.“ Schlauch imitiert die japanischen Manager, die nach einem Bankrott die Stirn gen Boden senken. Es nützt ihm nichts. Diverse Kreisverbände fordern in einem Antrag, Schlauch dürfe nicht auch noch mit dem Posten eines Staatssekretärs „belohnt werden“. Renate Künast redet für Schlauch, denn sie sei ja schließlich gelernte Strafverteidigerin. Joschka Fischer macht Schlauchs Demütigung komplett, indem er quasiarchaische Blutsbande als Argument heranzieht: Rezzo, den er im Verbund mit Kuhn noch am Wahlabend als Fraktionsvorsitzender abserviert hatte, stehe ihm doch so nahe – sie seien innerhalb „eines halben Jahres von derselben Hebamme ans Licht der Welt“ befördert worden.
Immerhin knapp ein Drittel der Delegierten will Schlauch erneut aus dem Amt jagen. Der Davongekommene lässt seine Pranke zum Dank auf Künasts Schulter fallen. In die Augen blickt ihm weder sie noch Fischer. Der Vizekanzler knurrt später einer Parteifreundin zu, ohne Schlauch wäre der Staatssekretärsposten bei Wolfgang Clement für die Grünen verloren gegangen: „Ich mach das doch nicht, um ihn zu verteidigen.“
Die Suche nach einem Ventil allein erklärt wohl nicht, warum die Delegierten ihren Vorsitzenden am nächsten Tag einen Korb erteilen. Wichtiger schon waren da zwei geheimnisvolle Treffen. Von dem ersten sagt der Organisator Christian Ströbele, es habe „in einer obskuren Parkgegend stattgefunden“. Eine halbe Stunde seien am Freitagnacht knapp hundert Gegner einer Satzungsänderung zu der Bremer Kneipe gestolpert, erzählt ein Teilnehmer, querfeldein und „ohne Licht“. Der NRW-Landesvorsitzende Frietjof Schmidt hatte für seinen Kompromissantrag geworben: statt allen Vorstandsmitgliedern das Recht auf einen Sitz im Bundestag einzuräumen, sollte nur ein Drittel zum Zug kommen. Der Bundesvorstand übernahm schließlich diesen Antrag – um überhaupt noch Chancen auf Erfolg zu haben. Doch die Teilnehmer des Treffens hatten sich längst verschworen, auf den Kompromiss nicht einzugehen.
Das zweite Treffen unter Ströbeles Führung fand erst statt, als alles zu spät war: nach ihrem Erfolg bei der Abstimmung baten seine Anhänger um eine kurze Auszeit, verschwanden durch drei rote Türen hintereinander zur Krisenberatung. Hatten sie dieses Ergebnis wirklich gewollt? Die Beratung fiel kurz aus: Sie hatten – und ein entnervter Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer verkündete vom Podium: Die Sieger wünschen keinen Kompromiss.
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